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Archiv-Artikel

Was uns der Meister wert ist

Ein Kripokommissar a. D. von der Innung spürte ihn auf und stoppte seinen Elan

Horst Wäschle versteht sich als Allrounder. Der 42-Jährige hat einen Gesellenbrief als Glaser und Fensterbauer, er hat einige Zeit Dächer und Fenster isoliert, im Holz -und Bautenschutz gearbeitet, sich bei diversen Baufirmen und in der Gastronomie verdingt. Im vergangenen Jahr, er hatte keine Lust mehr auf Festanstellung, reichte er eine Anmeldung als Theater- und Ausstattungsmaler ein. Das ist ein handwerksähnliches Gewerbe, das er ohne Meisterprüfung betreiben kann. Damit darf er auch Raufasertapeten kleben und streichen, also klassische Renovierungsarbeiten ausführen. So bot er in Berliner Stadtmagazinen in zweizeiligen Anzeigen seine Dienste an: „Wohnungsrenovierung von A-Z für privat und Hausverwaltung, auch Kleinaufträge“.

Doch die Berliner Maler-und-Lackierer-Innung stoppte seinen Elan. Im Kampf gegen Schwarzarbeit beschäftigt die Innung, die die Interessen von 340 Meisterbetrieben vertritt, einen Kriminalhauptkommissar a. D., der regelmäßig Kleinanzeigen studiert. Nachdem dieser auf Wäschles Werbung gestoßen war, forderte die Standesorganisation den Handwerker auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Wegen unlauteren Wettbewerbs. Denn nach Meinung der Innung übt Wäschle sein Handwerk illegal aus, weil er nicht als Maler und Lackierer in der Handwerksrolle eingetragen ist. Ohne Meisterbrief dürfe er keine „vollhandwerklichen“ Tätigkeiten anbieten oder ausführen, sondern nur so genannte minderhandwerkliche.

Während Wäschle den Sachverhalt schildert, fasst er sich abwechselnd an den Kopf und lacht. Dass man Meister sein soll, um eine normale Wohnungsrenovierung auszuführen, will ihm nicht in den Kopf. „Es ist eine Realsatire“, sagt er.

Wäschle weigerte sich, die Unterlassungserklärung abzugeben. „Ich mache doch nichts weiter, als aus alten, verranzten Räumen was Schönes.“ Kurze Zeit später bekam er eine einstweilige Verfügung des Landgerichts. Gegen Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten darf er vorerst seine Anzeige nicht schalten.

Horst Wäschle, der mit seiner Lebenspartnerin und deren zwei Kindern zusammenlebt, sieht sich in seiner Existenz gefährdet. „Ich werde in meiner freien Berufsausübung behindert, die mir nach der Verfassung zusteht“, schimpft er. Verständlicherweise will er nicht mit dem Zusatz „minderhandwerkliche Tätigkeiten“ werben.

Seine Hoffnungen ruhen nun auf der Politik. Die Regierungsmehrheit von SPD und Grünen hat gestern im Bundestag erst einmal einen Beschluss in seinem Sinne gefasst: Einfache Handwerksarbeiten kann künftig jeder anbieten, und einfach sind die Arbeiten, die in zwei bis drei Monaten erlernbar ist.

In einem weiteren Schritt will Rot-Grün die Handwerksordnung, die seit 50 Jahren kaum verändert wurde, modernisieren. Diese Reform wurde gestern im Bundestag diskutiert. Demnach soll der Meisterbrief nur noch bei 29 der 94 Handwerksgewerke erforderlich sein, um einen Betrieb zu führen. Mit zehnjähriger Berufserfahrung können dort zudem auch Gesellen ohne Meisterbrief selbstständig tätig werden. Diese Reform muss jedoch durch den Bundesrat, und dort haben die unionsregierten Länder die Mehrheit. Die Konservativen sind gegen eine Reform der Handwerksordnung.

Horst Wäschle hat gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt. Das Landgericht bestätigte jedoch die Verfügung. Noch liegt das schriftliche Urteil nicht vor. Der Wohnungsrenovierer ist gespannt auf die Definition des Gerichts von voll- und minderhandwerklichen Tätigkeiten. Notfalls zieht er bis vors Bundesverfassungsgericht.

BARBARA BOLLWAHN