Von Friedens-Rentnern und VWL-Studentinnen

Der „Perspektiven-Kongress“ in Berlin zeigt: Das Altersspektrum innerhalb der Linken wird immer größer

BERLIN taz ■ Wer links sein will, kann eine Menge tun. Zum Beispiel Saatgut von Raps und Gerste aus den Tütchen der Buko-Kampagne gegen Biopiraterie im Hinterhof aussäen. Dann zu H & M gehen und ein paar Kärtchen in den Wühltischen liegen lassen mit der Aufschrift „Augen auf beim Kleiderkauf! – Kampagne für saubere Kleidung“, gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Anschließend eine Unterschriftenliste ausfüllen für die Wahl von Gesine Schwan zur Bundespräsidentin. Das linke Spektrum, so zeigte sich auf dem Perspektivenkongress, ist breit. Nicht nur die teilnehmenden Organisationen, auch die Motive, warum Leute in die Technische Unversität kamen, waren recht unterschiedlich.

Patrick Scheib, zum Beispiel, ist 30 Jahre alt, langzeitarbeitslos und Mitglied der Erwerbslosengruppe bei der IG BAU in Berlin-Brandenburg. Vor sieben Jahren trat Scheib in die Gewerkschaft ein, damals arbeitete er als Gebäudereiniger, „und das ist eine Branche, da herrschen nur Beschiss und Lohndumping“. Als sein Arbeitgeber die Löhne nicht zahlte, half ihm der Rechtsschutz der IG BAU aus der Misere. Inzwischen hat er eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert, dort gibt es aber keine Stellen. Die Verlierer der Politik, glaubt er, sind „die Arbeitslosen und die Alten“.

Udo Schapals, 58, kümmert sich als Sozialarbeiter in Bremen um psychisch erkrankte und demente Heimbewohner. In seinem Beruf erlebe er, was Kürzungen bedeuten. „Manche Kranken nehmen beispielsweise ihre Medikamente nicht mehr, weil sie die Zuzahlungen und die Praxisgebühr scheuen. Das geht voll nach hinten los“.

Die 70-jährige Laura von Wimmersperg. Moderatorin der Friedenskoordination in Berlin, legt sich gegen den weltweiten Ausbau militärischer Kontrollen ins Zeug. „Ich habe den Zweiten Weltkrieg noch selbst als kleines Mädchen miterlebt.“ Später dann schleppten sie Freunde zu den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Seit 20 Jahren ist die ehemalige Hauptschullehrerin in der Friedensbewegung aktiv, auf dem Kongress war sie vor allem „neugierig, wer so kommt“. Dass es so viele Ältere sind, hat sie „ein wenig überrascht“.

Auch Katja Hentsch, 27 und Studentin an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin, hätte mit mehr jüngeren Teilnehmern gerechnet. Die Professoren an ihrer Fachhochschule, viele aus dem linken Spektrum, hätten für den Kongress heftig geworben, sagt Hentsch. Schade findet sie, dass auf den Veranstaltungen bisher zwar viele Lehrer, aber kaum die Befindlichkeiten der Studenten zur Sprache kämen. Der Berufseinstieg beispielsweise sei für die Jüngeren ein Problem. „Die Arbeitgeber wollen nur noch Leute mit Auslandserfahrung, Praktika und mehreren Sprachen.“ Da man unbezahlte Praktika besser durchstehe, wenn betuchte Eltern etwas zuschießen, entscheide künftig eben nicht nur Leistung, sondern auch Herkunft über die Einstiegsschancen. „Gerecht ist das nicht.“ BARBARA DRIBBUSCH