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Archiv-Artikel

Der Papa schraubt, die Kinder rollen

Beim Weddinger Seifenkistenrennen spielen Erwachsene die große Motorsportwelt nach. Die jugendlichen Soap Box Racer hingegen sind holzautoadäquat gekleidet für den 300-Meter-Sprint. Gefahren wird nach strengen Regeln. Ulk-Kisten sind out

von ANDREAS RÜTTENAUER

Die Badstraße in Wedding gehört, spätestens seit das Gesundbrunnencenter eröffnet hat, nicht mehr zu den wirklich guten Einkaufsstraßen in Berlin. Lidl, Woolworth und der Schuhdiscounter Reno sind noch die besten Adressen auf dem belebten Boulevard. Beinahe unzählige Telecard- und Mobilfunkshops, Spielhöllen und Krimskramsläden sorgen nicht gerade für eine wohlige Shoppingatmosphäre. Auf der Straße wird nicht selten zu schnell gefahren, viel gehupt und auch das Reifenquietschen gehört zum Alltag unweit des Humboldthains.

Doch einmal in Jahr ist dies anders. Da gehört die Badstraße nicht den braun gebrannten Ellenbogen, die aus den Fenstern der Fahrertüren von meist schwarzen, wohlbeschallten Edelkarossen herauslugen. Einmal im Jahr wird richtig brav gefahren. Denn einmal im Jahr gehört die Straße den Seifenkisten.

In diesem Jahr veranstaltete die Ernst-Reuter-Gesamtschule gemeinsam mit der Seifenkistenrennvereinigung Berlin (SKV) bereits zum 15. Mal ein Rennen auf der Badstraße. Die etwa 300 Meter lange Strecke ist mit Strohballen gesichert, alle zehn Meter ist eine schwarz-weiß karierte Fahne mit der Aufschrift „Berlin Soap Box Racers“ am Streckenrand angebracht. Am Jurywagen sind die riesigen, goldfarbenen Siegerkränze, die Pokale und Medaillen gut sichtbar angebracht. Die Veranstalter mit ihren Poloshirts im gewürfelten Zielflaggendesign fügen sich ein in eine Modellwelt, in der der große Motorsport nachgespielt wird.

Nur die Kinder, die vor dem Start neben ihren drolligen Gefährten stehen, scheinen dabei nicht mitmachen zu wollen. Kein einziges hat ein Schumi-T-Shirt an, niemand eine Ferari-Basecap auf. Warum auch? Mit Motorsport hat ein Seifenkistenrennen ja auch herzlich wenig zu tun. Denn die Holzautos werden alleine durch den Schwung, den sie durch die Abfahrt von der Startrampe und das Gefälle der Straße mitbekommen, angetrieben.

Wer am Sonntag in den Wedding gepilgert ist, um irrwitzige Eigenkonstruktionen von jugendlichen Tüftlern zu bewundern, wurde enttäuscht. Gestartet wurde in vier verschiedenen Klassen, in denen es strenge Vorschriften gibt, die das Design der Gefährte ziemlich genau festlegen. Die in der Szene so genannte Ulk-Klasse war nicht ausgeschrieben. Die Fahrzeuge unterschieden sich also nur marginal. Oftmals sind es auch nicht die Kinder selbst, die ihre Kisten bauen. Meist sägt und schraubt Papa, der in seiner Jugend selbst über die Rampe gerollt ist. Auch Melanie Brüser hat ihre Seifenkisten nie selbst gebaut. Die mittlerweile 17-Jährige ist eigentlich schon zu alt, um laut Reglement an Rennen in Deutschland teilnehmen zu dürfen. Danach ist nämlich mit 16 Schluss. Zu groß ist sie allerdings trotz ihrer 1,75 Meter noch nicht. „Solange ich meinen Hintern noch in die Kiste kriege, fahre ich mit“, sagt Melanie, die auf eine überaus erfolgreiche Vergangenheit als Seifenkistenpilotin zurückblicken kann. Vor fünf Jahren hat sie sogar an den Weltmeisterschaften in den USA teilgenommen. Sie schwärmt noch immer von Akron/Ohio, wo es eine speziellen Soap-Box-Bahn gibt. Dort würden die Fahrerinnen und Fahrer wie Stars angekündigt und von unzähligen Zuschauern beklatscht und die Sieger von original US-Soap-Opera-Helden auf die Wangen geküsst.

Das alles sieht im Wedding natürlich anders aus. Außer den Familienangehörigen der Pilotinnen und Piloten interessiert sich kaum jemand für das Rennen. Das Straßenfest am Streckenrand ist so anheimelnd, wie das typische Berliner Straßenfest mit seinen Socken- und Lederwarenverkäufern nun einmal ist, und zieht auch nicht gerade die Massen an.

Dennoch wird Melanie Brüser den Seifenkisten treu bleiben. Sie arbeitet wie ihr Onkel und ihre Mutter inzwischen in der Organisation mit. Diesmal hat sich sogar Prominenz angesagt. Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU) war schon im Vorjahr da und soll ganz begeistert gewesen sein. Kein Wunder bei den Tönen, die im Startbereich zu vernehmen sind. Melanies Mutter Karin schwärmt von Zellers Begeisterung für den Seifenkistensport: „Der kümmert sich wenigstens um die Berliner Kinder, nicht so wie der Herr Wowereit, der immer nur auf Schwulenpartys herumtanzt.“