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„Putin steckt in der Sackgasse“

Interview KLAUS-HELGE DONATH

taz: Sie haben vor einem Jahr in einem offenen Brief Präsident Putin aufgefordert, mit dem tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow endlich Verhandlungen aufzunehmen. Beliebt gemacht haben Sie sich damit im Kreml sicher nicht …

Iwan Rybkin: In der Tat. Nach der Veröffentlichung wurde ich auch in meiner eigenen, der Sozialistischen Partei so angefeindet, dass ich den Vorsitz niedergelegt habe. Die Order kam aus dem Kreml, und inzwischen sitzen in den wichtigen Positionen der Partei Militärs und Geheimdienstler. Der Kreml hat sich bei mir dann wieder im Oktober letzten Jahres während der Geiselnahme im Nord-Ost-Musicaltheater in Moskau gemeldet. Ich bot an, mit den Geiselnehmern zu verhandeln. Der Kreml wollte aber nur, dass ich Kontakt zu Maschadow herstelle. Als ob sie das nicht selbst könnten! Wegen einer Vermittlung hat sich dann niemand mehr gemeldet. Man hatte wohl von Anfang an auf eine gewaltsame Lösung gesetzt.

Hat Putin inzwischen begriffen, wie wenig mit Gewalt im Kaukasus zu erreichen ist?

Er versteht heute mehr, vor allem ist er genau im Bilde, was dort passiert. Als ich 1998 das erste Mal mit ihm über Tschetschenien sprach, damals war er Vizechef der Präsidialkanzlei, hatte er die Dimension des Problems nicht erfasst und dachte nur in Gewaltkategorien. Aber wie kann der Krieg mit einer Armee wie dieser entschieden werden? Ich habe genau beobachtet, wie sich Militärs und Generäle verhalten, sobald sie Macht in den Händen halten. Sie ähneln voll gefressenen Jagdhunden, die eigentlich einen Hasen oder Fuchs fangen sollten, sich stattdessen aber mit ihnen einigen, weil sie zum Laufen längst viel zu fett sind. Und das sollen treue Verbündete des Präsidenten sein …?

Wie haben Sie reagiert, als Putin zum Nachfolger Jelzins erkoren wurde?

Als man mich in der so genannten Operation Nachfolger im Mai 1999 fragte, habe ich vor dem Kandidaten gewarnt. Ein Geheimdienstler in Russland sollte nicht Präsident werden. Diese Dienste verfügen über ein Selbstverständnis, das vor der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Dennoch waren viele zuversichtlich, der Neue lasse sich „lenken“. Mir schien das gleich ziemlich unrealistisch.

Mit dem Referendum, das im März über eine Verfassung und den Verbleib Tschetscheniens in der Russischen Föderation entschied, will der Kreml nun den Weg einer politischen Lösung eingeschlagen haben …

Das ist reine PR. Das Referendum hat die Menschen dort um eine Hoffnung ärmer gemacht, weil sich nichts zum Besseren wendet. Putin spürt, dass er in einer Sackgasse steckt. Jetzt möchte er das Problem loswerden und es dem amtierenden Republikchef Achmed Kadyrow zuschieben. Dem Einzigen übrigens, dem in Russland Spezialeinheiten des Innenministeriums persönlich unterstellt sind. Das heizt die Bestialität noch zusätzlich an: Tschetschenen rechnen mit Tschetschenen ab. Dahinter scheint das Kalkül zu stehen, mittels eines „kleinen“ Bürgerkriegs lasse sich der große Brandherd eindämmen. Ein fataler Irrtum. Voraussetzung für Frieden ist, dass sich Tschetschenen untereinander einigen, aber das wird hintertrieben.

Sehen Sie noch eine Chance für Verhandlungen und eine Kompromissmöglichkeit in der Frage der nationalen Souveränität?

Es führt kein Weg daran vorbei. Bevor der Kreml Sakajew, den Gesandten Maschadows, zum Terroristen stempelte, war ihm noch ein Unbedenklichkeitszeugnis ausgestellt worden. Er traf sich nämlich mit dem Sonderbeauftragten Putins für die Südregion, Wiktor Kasanzew. Man habe Sakajew ausgewählt, weil gegen ihn nichts vorlag, hieß es. Ich glaube, alle Seiten könnten mit einem Status zufrieden sein, wie ihn Finnland innerhalb des alten Russischen Reichs innehatte – Teil des russischen Staatsverbandes, aber mit weitreichender Autonomie.

Mit der Geiselnahme im Musicaltheater Nord-Ost im vergangenen Herbst betrat eine junge, unversöhnliche Generation von Widerstandskämpfern die Szene. Lässt sich mit denen überhaupt noch reden?

Sakajew gehörte zum bewaffneten Widerstand, zählt aber zu den gemäßigten Kräften. Mit der nächsten Generation, den Barajews, den Geiselnehmern im Nord-Ost-Theater, werden wir in der Tat nicht mehr reden können. Der Krieg wäre längst zu Ende, wenn die Bevölkerung ihn nicht mittragen würde. Die Grausamkeit gebiert immer mehr Hass. Die Selbstmordattentäterinnen signalisieren eine neue Stufe in der Spirale der Gewalt. Frauen, die in ihrer Würde so verletzt worden sind, dass sie nichts mehr aufhalten kann. Natürlich sind auch Verbrecher und Terroristen unter den Freischärlern, aber es sind eher wenige. Das Wesen des Konflikts liegt im Separatismus, nicht im Terrorismus, wie man uns seit dem 11. September weismachen will. Maschadow ist nicht Ussama Bin Laden, und die meisten Rebellen sind auch nicht die Taliban.

Haben Sie keine Angst, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen? Im April ist Ihr Freund und Kollege, Sergej Juschenkow, umgebracht worden. Der Duma-Abgeordnete hatte Jelzin aufgefordert, in die Politik zurückzukehren, da er sich in seinem Nachfolger offensichtlich getäuscht habe …

Die Generalstaatsanwaltschaft sucht mich häufiger auf und stellt eigentümliche Fragen: Warum ich damals mit Leuten wie Sakajew gesprochen habe etwa. Mein Gott, was soll ich darauf antworten? Ich war Jelzins Sonderbeauftragter für Tschetschenien. Mit Verbrechensbekämpfung hat das alles nichts zu tun. Stunden hat die Polizei gebraucht, bis sie bei Sergej am Tatort eintraf.

Gilt dieses Misstrauen besonders Ihnen, oder ist die Schnüffellei ein Zeichen der neuen Ära?

Wir leben in einer „gelenkten Demokratie“. Unter Putin wird eine Revision der gesellschaftspolitischen Reformen Jelzins vorgenommen. Demokratische Institutionen und Kontrollinstanzen wurden entmachtet. Die Duma spielt keine Rolle mehr, der Föderationsrat hat seine Funktion als regionales Gegengewicht zum Zentrum verloren. Der an seiner Statt eingeführte Staatsrat ist ein Teekränzchen, nicht mehr. Der Unmut der Vertreter in den Regionen, die wieder wie im Kommunismus zur Ader gelassen werden, wächst. Natürlich verfolgen die Provinzen die Personalpolitik. Wer nicht aus Petersburg stammt wie der Präsident und sich nicht loyal verhält, der hat in Moskau keine Chance. Die Kontrolle geht so weit, dass Vertreter des Kreml bei Abstimmungen in der Duma durch die Reihen gehen und prüfen, wer welchen Knopf drückt.

Die Sicherheitsorgane sind also allgegenwärtig?

Unter Gorbatschow hatten 3 Prozent der Mitarbeiter der Regierung einen militärischen- oder geheimdienstlichen Hintergrund, Jelzin brachte es anfangs auf 8, später auf 11 Prozent. Nach zwei Jahren Putin sind es bereits 26 Prozent. Das beeinflusst alle Entscheidungen und prägt die Atmosphäre. Gewalt ist die bevorzugte Lösungsmethode. Das korrespondiert mit der Verrohung im zivilen Leben, die auch eine Folge des Krieges ist. Über eine Million Soldaten wurde durch den Kaukasus geschleust, und Veteranen dieses Feldzugs begehen die schwerwiegendsten Verbrechen. Früher waren die Statistiken zugänglich, heute sind sie wieder geheim. Die Meinungs- und Informationsfreiheit als wichtigste Errungenschaft der Jelzin-Ära wird unterminiert. Wenn alle Fernsehsender dem Staat gehören, ist das bedenklich. Wenn selbst die Kritik von Journalisten inzwischen fast wieder identisch ausfällt, deutet dies darauf hin, dass auch der Widerspruch von oben abgesegnet wird … bitter.

Halten Sie Selbstzensur und Selbstunterwerferung für eine typische Erscheinung der Ära Putin?

Ein Großteil der Intelligenz hat sich aus der öffentlichen Kritik verabschiedet und übt sich in Demutsbekundungen, statt Denkanstöße zu geben. Angst ist allgegenwärtig, auch noch ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kommunismus. Sobald man den Bürger ein wenig kratzt, kommen wieder Furcht und Angst zum Vorschein. Mich erschreckt, dass selbst die Jüngeren, die den totalitären Staat Stalins nicht miterlebt haben, so verängstigt sind. Das Publikum reagiert nicht auf die Gleichschaltung der Medien, Jounalisten tun so, als wäre das völlig gleichgültig.

Zur Zeit Boris Jelzins ging der Westen kritischer mit Russland und dem Kreml ins Gericht …

Der Westen spielt heute ein negative Rolle. Die heuchlerische Haltung im Umgang mit Tschetschenien behindert die Entwicklung der Demokratie in Russland insgesamt. Westliche Staatsmänner, die sehr wohl wissen, was im Kaukasus vor sich geht, machen sich mitschuldig. Niemand im Westen will sehen, dass die Entwicklung von Staat und Gesellschaft im Kern bedroht ist. Unsere politische Führung hat ein autoritäres Wesen, will dem Westen aber gleichzeitig gefallen. Sehr sogar. Sie ist geradezu gefallsüchtig und hat damit auch Erfolg.

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