: Bärlauch und Teufelskralle
Pharmaforschung im Münsterland: Alexander Schenk setzt auf Kräutergärten, moldawisches Bärlauch und Nachwuchsakademiker in Rumänien
Aus Havixbeck LUTZ DEBUS
Bösensell, Havixbeck, Roxel, Nottuln, wer diese Ortsnamen komisch findet, kommt nicht von hier. In einem unter Denkmalschutz stehenden Bauernhof aus Sandstein, zwischen all den Dörfern gelegen, findet für die ländliche Region eher Ungewöhnliches statt: Pharmaforschung. Doch statt imposanter Industriearchitektur kündet nur ein Türschild an einem Nebengebäude von dem, was hier geschieht. Ansonsten schnurren Katzen in der Sonne.
Zur Begrüßung regt sich der Institutsleiter und Apotheker Alexander Schenk erst einmal richtig auf: „Das ist ja der politische Treppenwitz der letzten Jahre – den weltweit höchsten Standard, den die Bundesrepublik Deutschland bei der Forschung pflanzlicher Arzneimittel vorzuweisen hatte, hat Rot-Grün kaputt gespart. Und das war nicht nur eine SPD-Ministerin Schmidt,sondern auch schon die grüne Fischerin!“
Viele Jahre habe die so genannte „Kommission E“ vom Bundesgesundheitsamt Monographien für Arzneipflanzen erstellt. Diese anerkannte wissenschaftliche Grundlagenforschung sei dann aber wegen Mittelkürzungen eingestellt worden. Die neue Gesundheitsreform erlaube es Krankenkassen nicht mehr, Kosten für pflanzliche Präparate zu übernehmen. So investieren die großen Pharmafirmen inzwischen sehr viel weniger in die phytotherapeutische Forschung, die kleinen, darauf spezialisierten Firmen sind sogar in ihrer Existenz bedroht. Dabei habe gerade die Forschung ergeben, dass die Pflanzenheilkunde in vielen Fällen genauso gute Ergebnisse wie die chemisch-synthetische Pharmazie, in manchen Fällen sogar bessere erzielt.
Der US-amerikanische Pharmamarkt, der die Pflanzenheilkunde früher eher belächelte, habe die Forschungsergebnisse aus Deutschland inzwischen übernommen und weiter entwickelt. Weil die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Naturheilmittel nicht mehr übernehmen, habe in dem Bereich ein ruinöser Preiskampf stattgefunden. So gebe es die „Teufelskralle“, ein Präparat gegen Rheuma, inzwischen für die Hälfte des Apothekenpreises bei Aldi. „Das findet man dort zwischen Dosengulasch und Fertigpizza. Und es enthält nur etwa ein Drittel der benötigten Wirkstoffkonzentration. So geht das Vertrauen in die Pflanzenheilkunde verloren.“ Und Aldi investiere eben nicht in die Forschung.
Was hat Alexander Schenk dieser Entwicklung entgegen zu setzen? Der 45-Jährige erfand vor fast zehn Jahren den „Apothekergarten“. Natürlich hatten auch früher Apotheken ihre eigenen Gärten – viele Medikamente wurden aus dem eigenen Kräutergarten geerntet. Und Schenks Idee nimmt auf diese Geschichte ausdrücklich Bezug. Der Apothekergarten ist ebenso ein kleiner botanischer Garten, der wissenschaftlich fundiert wie leicht verständlich dem Besucher die Phytotherapie näher bringt. Den Vergleich mit den didaktischen Methoden von “Die Sendung mit der Maus“ findet Schenk überhaupt nicht unsympathisch.
Den ersten Apothekergarten richtete er zur Landesgartenschau in Lünen 1996 ein. Es folgte der Garten in Gütersloh 1998, in Hannover zur Expo 2000 und der bisher größte Garten in Ulm mit 5.000 Quadratmeter Fläche, 256 Pflanzenarten und über hundert Infotafeln. Während die anderen Gärten von einer breiten konzertierten Aktion von Apothekerkammern, Herstellern und der Stiftung Naturheilkunde finanziert wurden, steckt hinter dem schwäbischen Projekt der Billigpharmariese Ratiopharm mit den werbewirksamen Zwillingen. Etwa 20 kleinere Gärten gestaltete Schenk für Apotheken.
Längst sind Apotheken keine Gelddruckmaschinen mehr. Durch den Konkurrenzdruck, auch aus dem Internet, sind Apotheker gezwungen, sich zu spezialisieren. „Manche machen auf Diabetestherapie, andere auf Stützstrümpfe, wieder andere auf Pflanzenheilkunde. Ein eigener Garten vor der Tür ist dann natürlich eine prima Werbung.“ Im Moment beschäftigt sich Alexander Schenk mit einem historischen Apothekergarten. Er entsteht bei Weseke im Kreis Borken an der niederländischen Grenze. Die grenzüberschreitende Attraktion ist ein Euregio-Projekt. Ein Beet zu Hildegard von Bingen wird dort angelegt. Zu sehen sein werden auch alte Rezepturen aus Ägypten und Mesopothanien, und auch 5.000 Jahre alte Keilschriften.
Alexander Schenk hat promoviert und hält eine Professur in Constanta, der zweitgrößten Stadt Rumäniens. Die dortige Ovidius-Universität leistet sich einen Lehrstuhl für Phytopharmazeutische Technologie. Der interdisziplinäre Studiengang beschäftigt sich mit dem Anbau, der Ernte, der Verarbeitung, der Extraktion und der Qualitätskontrolle von pflanzlichen Arzneimitteln. Gemeinsam füllen dort Pharmazeuten, Agrarwissenschaftler, Biologen, Ökologen und Chemiker den Hörsaal, wenn der Doktor aus Deutschland seine Vorlesungen hält. Schenk macht das fast ehrenamtlich – die Besoldung von Akademikern in Rumänien reicht nicht einmal für das Flugticket.
Gereizt hat Schenk die Aufgabe trotzdem: „Die Menschen dort begegnen dem Thema aufgeschlossener. Es gibt eine lange Tradition der Pflanzenheilkunde in Rumänien. Unter Ceaucescu wurde die eigene Bevölkerung mit synthetischen Mitteln behandelt. Die Heilpflanzen wurden devisenbringend für den Export angebaut. Inzwischen herrscht in Rumänien gerade an der Universität Aufbruchstimmung. Das weite fruchtbare Land und die niedrigen Löhne sprechen dafür, den platz- und personalintensiven Anbau von Heilpflanzen weiter zu entwickeln.“
Alexander Schenk unterhält auch Kontakte nach Moldawien. In der kleinsten ehemaligen Sowjetrepublik wächst überall das Bärlauch. Die dem Knoblauch verwandte Pflanze hilft gegen Bluthochdruck. Und hierzulande ist Bärlauch-Pesto in den letzten Jahren zu einer trendigen Pasta-Sauce geworden. „Bärlauch ist wortwörtlich in aller Munde“, scherzt Schenk. So bot sich eine Zusammenarbeit zwischen einem Pharma- und einem Gewürzhersteller an. In den nächsten Wochen wird ein Tiefkühllastwagen mit sieben Tonnen Bärlauch von Moldawien nach Deutschland fahren. Fünf Tonnen bekommt die Gewürzfirma, zwei Tonnen die Pharmafirma.
Phytotherapie überschreitet nicht nur die Staatsgrenzen. Gelegentlich schwingt auch etwas Mysteriöses mit. Wenn Alexander Schenk von dem Kava-Kava-Komplott erzählt, wird dem Zuhörer etwas mulmig. Die Wurzel eines polynesischen Pfeffergewächses galt vor Jahren noch als wahre Wunderdroge. Kava-Kava half nicht nur gegen Angst und Streß, sondern eignete sich mit gutem Erfolg bei der Entzugsbehandlung von Benzodiazepinen, stark suchterzeugenden Beruhigungsmitteln. Doch plötzlich tauchten Berichte von Leberschäden auf. Das zuständige Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entzog dem pflanzlichen Medikament daraufhin die Zulassung. Von den 21 Fällen, die dem Bundesamt bekannt wurden, ließen sich bei genauerer Betrachtung aber nur vier eindeutig mit der Einnahme von Kava-Kava-Arzneimitteln in Verbindung bringen. Patienten, die wegen Alkoholmißbrauch vorgeschädigte Lebern hatten, hatten stark überhöhte Dosen eingenommen.
Schenk gibt das zu denken: Es sei doch zumindest die Vermutung gestattet, dass hinter dem Zulassungsentzug die Pharmaindustrie stecke. Mit Valium lasse sich nun mal mehr Geld verdienen als mit den Pflanzenwurzeln.
Schenk lehnt die Abgabe von Haschisch in Apotheken ab – dies war zumindest für den Fall einer Freigabe schon mal in Planung gewesen. Haschisch solle, wenn irgendwann legalisiert, in der Gastronomie verkauft werden, nicht in der Apotheke, meint Schenk. Natürlich gelte dies nicht, wenn Cannabis zu therapeutischen Zwecken benötigt werde: Studien ergaben, dass Cannabis bei Krebspatienten, die Strahlentherapie bekommen müssen, das damit verbundene Erbrechen verhindert und appetitanregend wirkt.
Ein Dutzend weiterer Geschichten erzählt Alexander Schenk, gespikt mit dutzendweise Fakten. Selbst das Wort „Traubensilberkerzenwurzelstocktrockenextrakt“ geht ihm leicht und schnell über die Lippen. Vielleicht beantwortet ja auch seine Herkunft, warum er ist, wie er ist. Schenks Vater ist Russe, er selbst ist aufgewachsen im südlichen Münsterland – eine west-östliche Rezeptur aus Ratio und Charme.