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Archiv-Artikel

Die Fundis der Bewegung

Weg von der pillenlastigen Goakultur, hin zum linken Crossover: Am Wochenende fand im Mecklenburgischen das „Fusion Festival“ statt, vier Tage Ferienkommunismus für 20.000 Leute

von JAN FREITAG

Ein Dorf in Mecklenburg. Hobbyfloristen pflegen ihre Beete, das neue Kopfsteinpflaster glänzt in der Sonne, Vögel zwitschern, von fern bellt ein Hund. So geht es zu, samstags in Lärz, wo vorm Feuerwehrhaus ein handgemaltes Schild zum Dorffest lädt.

Doch vorher bläst eine Feier ganz anderer Dimension ihre Bässe durchs Vorgartenidyll: Das „Fusion-Festival“, nur wenige Meter entfernt. Eine der angesagtesten Musikpartys, Eldorado für Freunde computergenerierter Musik, Mekka für Esos und Hippies aus halb Europa – und für die Anwohner alljährlicher Überfall aufs Ruhebedürfnis am Schweriner See.

Seit 1997 trifft sich die Szene, vor allem aus Hamburg und Berlin, auf einem alten Militärflugplatz, um vier Tage durchzutanzen. „Vor uns liegen 4 Tage Ferienkommunismus“, heißt es im Festivalplan. Gut 200 Konzerte und DJs, oft zeitgleich, 80 Stunden am Stück. Dazu Kino, Theater, Kunst, Workshops, Kinderprogramm und Politik. „Die Fusion“, sagt Frank bei der Abreise erschöpft, „ist das Größte, was ich kenne.“ Der Dortmunder, mit 41 einer der Senioren, sorgt oft selbst für den beliebtesten Sound vor Ort: Goa. „Sehr schnell“, erklärt er sein Repertoire. Präzisierung: „140 bis 148.“ Das sind drei Bässe pro Sekunde.

Fusion heißt Vereinigung: Von russischer Folklore über Punk, Elektrogefrickel und HipHop bis hin zum ganzen Kosmos repetitiver Klangschleifen sind Stile vertreten, die sich sonst meiden wie die Pest. Top-Acts wie die Dubvirtuosen Le Hammond Inferno, das HipHop-Theater Puppetmastaz, Stereo Total oder Jeremy Caulfield aus dem Technolager – so ein Angebot erfreut auch Zahlungsunwillige. „Macht ihr mal den Kofferraum auf?“, fragt Nick am Eingang und erntet Entsetzen: Kontrolle auf einem Festival, das dem Kommerz abschwört? „Reinschmuggeln ist nicht“, sagt der Rostocker. Dabei kommen mit Hinweis auf Ebbe im Geldbeutel sicher einige rein.

Denn die Fusion basiert auf Solidarität: Weg von der pillenlastigen Goakultur und ihren versoffenen Kirmestechno-Epigonen, hin zum pillenlastig versoffen berührungsoffenen Crossover zwischen Subkultur und Mainstream im linken Polit-Ambiente samt Antifasymbolik, veganer Kost und Befreiungssalsa. „Als Ende der 80er Techno aufkam, war es noch eine sehr subkulturelle, rebellische Szene“, meint Kulturkosmos-Chef Martin Eulenhaupt. „Wir sind sozusagen die Fundis der Bewegung.“

Mit autonom arbeitenden Projekten – deshalb gibt es kaum Angaben über freiwillige und entlohnte Hilfskräfte; mit einem unklaren Finanzierungskonzept – deshalb gibt es nur ungenaue Schätzungen der Besucherzahl; mit nachrangiger Öffentlichkeitsarbeit – deshalb bleibt die Presse desinformiert. Dennoch sind über 20.000 Gäste da. Sechs Jahre zuvor hatten ein paar Kulturschaffende aus Berlin und Hamburg 3.000 Tanzwütige in die Pampa gelockt. Im April konnte „Kulturkosmos“ das 15 Hektar große Gelände nach zähem Kampf mit Einheimischen und Behörden kaufen – und ist mehr denn je auf konstanten Zuspruch angewiesen. Dass der nicht abebbt, zeigt ein Blick vom Hangar: Menschen überall. Auf der einen Seite die Zeltstadt, eine Art elektronisches Flüchtlingslager. Auf der anderen Ameisenhaufenatmosphäre, Raketen am Himmel, Feuer, Lichtinstallationen, Gewusel darunter.

Tanzkosmonauten sind beweglich. Sie kommen aus Zürich wie Jetina, bei der die Fusion auf ihrer Festivalsommertour „ganz oben steht“. Aus Berlin wie Josh, der sich wie immer Ende Juni in einer Zeitschleife wähnt. Aus Köln wie Andrea, die Samstagabend schlafen geht, um bis Sonntagnacht „richtig loslegen zu können“. Aus allen Ecken, das zeigen Autonummern, Sprachen, Dialekte. Sie lassen es sich gut gehen, davon zeugen zigtausend Müllsäcke, die, bei der Abfahrt abgegeben, 5 Euro Pfand zurückbringen. Sie bedienen sich anderer Rauschmittel als nur legaler, deswegen das „Hilfe im Drogennotfall“-Zelt. Sie tun es mit Bedacht, das meint ein Rotkreuzler, der zehn Blaulichteinsätze „ziemlich wenig“ nennt. Und außerdem ist es vier Tage heiß, staubig, daueraktiv. Dieses Wochenende auf dem Flugplatz bei Lärz, einem Dorf, das sein eigenes Fest noch vor sich hat. Wenn auch das ruhigere.