Die ominöse Leihgabe von 70 Computern

Drei Dolmetscher und drei Polizeibeamte stehen seit gestern wegen falscher Abrechnungen und spendierter Reisen vor Gericht. Gegen bis zu 20 weitere Beamte wird noch ermittelt – auch gegen Expolizeipräsident Saberschinsky

Wie der Weihnachtsmann sieht der 53-jährige türkische Dolmetscher Kemal E. eigentlich nicht aus. Und trotzdem sorgte der kleine, zierliche Unternehmer für eine Bescherung, an die sich Landeskriminalamt (LKA) und Polizeipräsidium noch lange erinnern werden. Der Fall, der als Dolmetscheraffäre Schlagzeilen machte, wird nun vom Landgericht neu aufgerollt: Angeklagt sind zwei Rauschgiftfahnder und ein Kommissariatsleiter des LKA sowie drei türkische Dolmetscher wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Bestechung. Nach den Worten einer Staatsanwältin ist mit weiteren Verfahren zu rechnen. Gegen 10 bis 20 andere Polizisten werde noch ermittelt.

Der Skandal im Drogenreferat hatte seit 1995 seinen Lauf genommen. Es begann damit, dass der türkische Übersetzer Kemal E. der Behörde eine große Anzahl von Computern zur besseren Auswertung der Telelfonüberwachung zur Verfügung stellte. Die unentgeltliche befristete Leihgabe soll mit Segen der Polizeiführung erfolgt sein. In dem Vertrag, der vermutlich noch im Prozess verlesen wird, soll ausdrücklich vermerkt sein, dass Kemal E. keinen Anspruch auf Bevorzugung bei der Vergabe von Aufträgen für sich reklamieren könne.

Aber genau das scheint der Fall gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Kemal E. von 1998 bis 2002 nicht nur fortlaufend mit der Übersetzung von Telefonüberwachungsmaßnahmen des LKA und Zollfahndungsamtes beschäftigt war, sondern zudem überhöhte Spesenquittungen einreichte und sich Rechnungen für Übersetzungen begleichen ließ, die er nie getätigt hatte. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen soll er auf diesem Wege rund 450.000 Euro ergaunert haben. Die angeklagten Polizisten sollen den Schwindel in einigen Fällen per Unterschrift gedeckt haben und als Gegenleistung zu Kurzreisen nach Chicago, Prag oder Kitzbühel eingeladen worden sein. Dies bestritten sie vor Gericht jedoch vehement. „Wir hatten nicht die Zeit, die Rechnungen einzeln zu überprüfen“, sagte einer der angeklagten Polizisten gestern. Die Rechnungen seien ihnen von Kemal E. immer als Packen vorgelegt worden, bevor sie zur Zahlstelle weitergeleitet wurden. Wegen des hohen Arbeitsaufkommens bei Observationen und Festnahmen habe niemand die Stichhaltigkeit kontrollieren können.

Den Vorwurf, von E. zu Kurzreisen eingeladen worden zu sein, wiesen sie ebenfalls von sich. Der Dolmetscher habe die Reisekosten von rund 2.000 Mark pro Nase nur vorgeschossen. Sie hätten ihm das Geld später in bar wiedergegeben. Auch seien sie während ihrer Dienstzeit nie darauf hingewiesen worden, dass private und dienstliche Belange nicht miteinander verquickt werden dürfen, wiesen die Angeklagten einen entsprechenden Vorhalt des Vorsitzenden Richters zurück. Der reagierte erstaunt: „Gerade Sie als Kriminalbeamte müssen doch mit allem Schlechten rechnen.“

Der Hauptangeklagte Kemal E. sitzt seit Oktober 2002 in Untersuchungshaft. Vor Gericht führte er gestern in einer weitschweifigen Erklärung aus, wie es zu der leihweisen Überlassung von insgesamt 70 Computern an die Polizei kam. Er und seine mitangeklagte Frau hätten zu den Spitzendolmetschern der türkischen Sprache in Berlin gehört. Früher hätten die Übersetzungsprotokolle der Telefonüberwachung mit der Hand geschrieben werden müssen. So gesehen sei die Einführung der Computer bei der Polizei für alle Beteiligten eine immense Arbeitserleichterung gewesen.

Dem Vernehmen nach hatten sich Kemal E. und seine Mitarbeiter mit einem eigenen Schlüssel zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt zu den Computern mit den hochsensiblen Telefonüberwachungsprotokollen verschaffen können. Wie die Staatsanwaltschaft gestern bestätigte, wird in einem anderen Verfahrenskomplex wegen der Überlassung der Computer an die Polizei immer noch gegen den früheren Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky, dessen damaligen Stellvertreter Dieter Schenk und den früheren LKA-Chef Hans Ulrich Voß ermittelt. Es wird geprüft, ob die Polizeiführung rechtmäßig handelte, entsprechende Verträge zum Vorteil des Landes abzuschließen. Der Prozess wird Mittwoch in einer Woche fortgesetzt.

PLUTONIA PLARRE