: Mein Freund, der Verleger
Noch ist die Flaute auf dem Print-Markt nicht vorbei, da gründen schon neue Verleger neue Blätter. Das Geld wird von Bekannten geschnorrt. „Voss“ und „Peace etc.“ sind zwei Berliner Beispiele
von SILVIA HELBIG
In Berlins Hinterzimmern brodelt es. Menschen telefonieren, diskutieren und erfüllen sich einen Wunsch: Sie geben eine Zeitschrift heraus. „Im Moment hört man von vielen Projekten, bei denen sich einfach Leute zusammentun und was machen.“ Der das sagt, ist auch einer von ihnen. Sven Ehmann hat nämlich zusammen mit zwei Freunden gerade Peace etc. herausgegeben.
Bei Andreas Bock ist das so ähnlich. Auch er hat gerade eine neue Zeitschrift herausgegeben, die Voss. Und hat eine weitere Ursache für die Neugründungen ausgemacht: „Die fetten Jahre sind vorbei. Viele kreative Leute sitzen auf der Straße und wollen was machen. Gerade in der Krisenzeit sind die Menschen bereit, Experimente einzugehen.“
Während die großen Verlage weiter eindampfen, stehen die neuen Verleger also schon in den Startlöchern. Antizyklische Unternehmensgründung als betriebswirtschaftliches Erfolgskonzept? Oder Überlebensmaßnahme Ich AG?
Bei Peace etc. weder noch. Das Konzept des monothematischen Magazins, dass sich dem Thema Frieden widmet, ist ungewöhnlich. Drei Freunde spüren den Drang, wichtige Fragen öffentlich zu diskutieren. Sie borgen sich von Bekannten Geld, tragen Texte von Autoren zusammen, lassen ein Heft drucken und verkaufen es. Das klingt natürlich simpler, als es ist. Ehmann sagt: „Es ist einfacher geworden, weil sich die technischen Möglichkeiten verbessert haben. 2.500 Euro hat der Druck unserer 2.000 Exemplare gekostet.“ Dazu kommt noch die Unterstützung von Freunden und Bekannten.
Aber Ehmann wirkt entspannt. Was wohl daran liegt, dass Peace etc. ein Nebenprojekt ist, das am Herzen liegt, aber nicht Existenzgrundlage sein muss. Die Macher kommen aus dem künstlerisch-kulturellen Bereich. Umso erstaunlicher eigentlich, dass sie ein rein politisches Themenheft publizieren.
Globalisierung, hallo! So wie „attac“ und die „Pace-Fahnen“ von einer schicht- und generationenübergreifenden Bewegung getragen werden, so will auch Peace etc. eine breite Leserschaft. Auch wenn Design eine wichtige Rolle im Layout spiele, wolle man auf keinen Fall elitär sein, sagt Ehmann. Das beweise doch die Autorenauswahl: Neben einem Zitat von Viva-Popnase Charlotte Roche („If war is the answer, the question must been very stupid“) schreiben z. B. auch Ex-Umweltminister Klaus Töpfer sowie Schüler, Designer oder Theoretiker. Der Reader enthält deutsche und englische Texte und soll im Buchhandel, auch im benachbarten Ausland, vertrieben werden.
„Marketingtechnisch ist unser Konzept natürlich eine Katastrophe. Keine Schubladen-Zielgruppe, keine Anzeigen.“ Zeitung machen aus dem Bauch heraus.
Andreas Bock geht mit Voss ganz anders an die Sache heran. Sein Konzept: Geschichten aus Berlin, klar aufgeteilt in die üblichen Ressorts Kultur, Medien oder Politik, beinahe alle journalistischen Formen werden bedient. Das hat Bock letztes Jahr in einem Zeitschriftenmacher-Kurs an der Journalistenschule gelernt.
Das Geld für die erste Ausgabe von Voss hat er sich aber genau wie Ehmann gepumpt. 10.000 Exemplare hat er drucken lassen. Und auch er verwirklicht mit der eigenen Zeitschrift einen Traum, gibt aber auch die existenzielle Notwendigkeit zu: „Ich habe jahrelang im Online-Bereich gearbeitet. Nach dem New-Economy-Crash drängen jetzt viele Internet-Leute in den Printbereich. Dass das Heft jetzt kommt, hat aber auch mit der Arbeitsmarktsituation zu tun.“
Den Job als „neuer Verleger“ macht Andreas Bock hauptberuflich. Der 39-Jährige steckt seine ganze Kraft in ein Projekt, von dem er nicht weiß, ob es funktionieren wird. Für ihn hängt einiges vom Gelingen dieser Zeitschrift ab. Die Auflage ist größer, die Verbreitung besser organisiert, also auch die Fallhöhe tiefer. Von dem Wort „Ich AG“ hält er gar nichts. Sich selbständig machen, das werde vom Staat alles andere als unterstützt. Und wer bei den Banken einen Kredit haben will und das Wort „Zeischrift“ erwähnt, hat keine Chance. Bankkaufleute denken nicht antizyklisch.
Das von Bekannten geborgte Geld reicht noch für zwei weitere Ausgaben. Textangebote habe er schon genug. Klar, viele Autoren suchen eben Arbeit. Doch nur, wenn von den ersten drei Heften 30.000 Exemplare verkauft werden, kann er weitermachen.
Gegen Ende des Jahres werden seine Freunde wissen, ob sie ihr Geld wiedersehen oder nicht.
„Voss“: bundesweit im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel„Peace etc“: erscheint heute und gibt es in ausgesuchten Buchandlungen in ganz Deutschland