: „Das Kapitel George Bush beenden“
Während Schröder, Fischer, Rice und Kurei in Berlin nach diplomatischen Lösungen für die Krisengebiete im Irak und im Nahen Osten suchen, sehen immer mehr Politiker im rot-grünen Lager einen Ausweg nur noch in der Abwahl des US-Präsidenten
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Der Montag im politischen Berlin war ein außenpolitischer Großkampftag. George Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie der palästinensische Ministerpräsident Ahmed Kurei hielten sich ein paar Stunden in der deutschen Hauptstadt auf, was eine ganze Reihe bilateraler Treffen zur Folge hatte: Rice traf Kurei, Außenminister Joschka Fischer sowie gleich zweimal Bernd Mützelburg, den außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Kurei seinerseits traf Schröder und Fischer. Die alles überragenden Themen: die Lage im Irak sowie ein Ausweg aus den festgefahrenen Nahost-Verhandlungen.
In dieser ungewöhnlichen Ballung von Spitzentreffen in Berlin mag für die Bundesregierung schon ein Wert an sich liegen. US-Präsident Bush und seine Mannschaft signalisieren damit, dass sie die Deutschen nach der tief gehenden Krise der bilateralen Beziehungen wegen des Irakkrieges wieder stärker als Partner wahrnehmen. Mit dem Berliner Treffen von Rice und Kurei wird zudem die besondere Vertrauensstellung von Joschka Fischer in der nahöstlichen Dauerdiplomatie zwischen Israelis und Palästinensern anerkannt. Trotzdem macht sich die Bundesregierung keine Illusionen darüber, warum die US-Regierung sich ausgerechnet jetzt um den Rat und die Hilfe der Deutschen bemüht: Im Irak stecken die Amerikaner in großen Schwierigkeiten, und in der arabischen Welt müssen sie nach der einseitigen Parteinahme für den Gaza-Rückzugsplan der Israelis ihr Ansehen aufpolieren.
Im Nahostkonflikt ließ sich gestern noch am ehesten Einigkeit zwischen allen Seiten herstellen. Schröder und Fischer sahen nach ihren Treffen mit Kurei „Bewegung“ in die verfahrene Lage gekommen. Sie formulierten jedoch gleichzeitig Voraussetzungen, damit die „bescheidenen, aber doch positiven Anzeichen“ (Schröder) nicht wieder folgenlos bleiben: die Beendigung der Zerstörung von palästinensischen Häusern im Gaza-Streifen; die Verantwortung der Palästinenser, Terroranschläge von ihrem Territorium aus zu verhindern; Rückzug der Israelis aus dem Gaza-Streifen nur auf der Basis der Road Map.
Rice äußerte sich gestern zwar nicht öffentlich, aber bei ihrem ARD-Interview mit Sabine Christiansen am Sonntagabend hatte auch sie versichert, dass US-Präsident Bush an der Vision eines Palästinenserstaates festhalte. Ob sie Ministerpräsident Kurei davon überzeugen konnte, dass ein Abzug der Israelis aus dem Gaza-Streifen ein erster Schritt zu diesem palästinensischen Staat sein könnte, bleibt vorerst ihr Geheimnis.
In der Irak-Frage ist zwischen Bundesregierung und der US-Administration gegenwärtig kaum Einvernehmen herzustellen. Fischer bezeichnete die Lage im Irak gestern als „sehr kompliziert, um es diplomatisch auszudrücken“. Das gibt einen Hinweis darauf, wie pessimistisch die Bundesregierung die Zukunft des Irak beurteilt. Offiziell bleibt sie bei ihrer bisherigen Haltung: Der Folterskandal muss rückhaltlos aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Am vorliegenden Zeitplan für die Zukunft des Irak – Übergabe der Souveränität an eine irakische Übergangsregierung zum 1. Juni – ist unbedingt festzuhalten. Militärische Hilfe Deutschlands im Rahmen einer möglichen Nato-Mission lehnen Schröder und Fischer ab. Jeder Nato-Soldat werde nur als Erfüllungsgehilfe Washingtons gesehen. Schröder plädiert stattdessen für Truppen aus islamischen Nachbarstaaten des Irak.
Der Kanzler und sein Außenminister enthalten sich jedoch jeder Geste der Genugtuung. Den Rücktritt von US-Verteidigungsminister Rumsfeld zu fordern, halten sie für überflüssig. Ob Rumsfeld gehen muss, entscheidet ohnehin nur Bush allein.
Immer mehr Politiker von SPD und Grünen sprechen jedoch aus, was Schröder und Fischer vielleicht nur denken mögen: Mit einem Präsidenten Bush ist die Glaubwürdigkeit der USA im Nahen Osten nicht wiederzugewinnen. Michael Müller, stellvertretender SPD-Fraktionschef, bezeichnete Bush gestern als „Versager“ und „neokonservativen Eiferer“. Der US-Präsident habe „eklatant versagt“. Er sei verantwortlich für eine verhängnisvolle Spirale von Gewalt und Gegengewalt. „Eine weltweite Intifada wird denkbar“, sagt Müller. Seine letzte Hoffnung: „Es wäre gut, wenn das Kapitel George W. Bush schnell beendet wird.“