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Archiv-Artikel

Wie obskur hätten sie es denn gerne?

Berliner Plattenhändler im Porträt (Teil 3): Tim Tetzner ist der perfekte Reiseleiter in die weiten Welten des popkulturellen Spezialspezialwissens. In seinem Plattenladen „Dense“ verkauft er Musik, die durchaus die Welt verändern könnte, wenn sie denn nur irgendwer zur Kenntnis nähme

Wer den Überblick darüber behalten will, was Monat für Monat an Musik den so genannten Popdiskurs bestimmt, muss massig Geld in den Plattenladen tragen oder regelmäßig die Kapazität seiner Festplatte aufstocken. Wer die neuesten Timbaland-Produktionen, irgendeine Grime-Nummer und die letzte Squarepusher kennt, darf dann endlich von sich behaupten, popmusikmäßig auf dem neuesten Stand der Dinge zu sein.

Und doch: eigentlich hat er von nichts eine Ahnung. Denn hinter der beschriebenen Welt des popkulturellen Allgemeinwissens, die eigentlich auch schon eine Welt des Spezialwissens ist, liegt die Welt des Spezialspezialwissens und dahinter die des Spezialspezialspezialwissens. Wer in diese Welten hinter den Welten blicken will, hat mit Tim Tetzner, Mitinhaber des Plattenladens Dense in Prenzlauer Berg, den idealen Shuttle-Piloten gefunden.

Nicht wenige, die zufällig in den kleinen Plattenladen stolpern, kommen sich hier vor wie ein Buchhändler im Comicladen: hilflos. Selbst Musikkenner, die eigentlich dachten, von allem Wesentlichen wenigstens schon Mal gehört zu haben, müssen hier tapfer sein. Denn es wird immer ein kanadisches oder isländisches Kleinstlabel geben, das sich auf abartigen Postindustrial spezialisiert hat, der die Welt von Grund auf verändern könnte, von dessen Existenz man dennoch erst bei „Dense“ in Kenntnis gesetzt wird.

Während für viele also die Auslagen bei „Dense“ wie ein Reich der undechiffrierbaren Zeichen erscheinen, ist Tim Tetzner der König dieses Reichs. Obskure Musik ist seine Passion, obwohl er selbst sagt, dass sein Interesse an Kopfmusik stark nachgelassen hat und dementsprechend immer mehr elektronische Popmusik anstatt elektronischer E-Musik den Weg in den Laden findet. Er selbst hört zur Zeit eh am liebsten Songorientiertes, nachdem sich bei ihm jahrelang alles um mikrotonale Improvisation, Postpunk, sowie „Warp und die Folgen“ gedreht hat.

Tim Tetzner weiß alles über Musik. Auch auf Gebieten, wo man selbst denkt, man würde sich einigermaßen auskennen: Tim hat immer noch ein Quäntchen mehr Ahnung. Es gibt kein italienisches Tape-Label, zu dem er nicht etwas zu sagen hätte. Bevor er mit seinem Partner Annibale Piccicci und dem inzwischen wieder ausgestiegenen Ed Benndorf vor zweieinhalb Jahren „Dense“ eröffnete, hat er davon gelebt, Platten auf dem Flohmarkt und bei eBay zu verchecken. Mehr schlecht als recht und ohne Krankenversicherung. Inzwischen arbeitet er halbtags bei „Dense“, die zweite Hälfte der Woche als Promoter für das Berliner Label Staubgold, als Gelegenheits-Booker für den Club „Ausland“, als Teilzeit-DJ ohne Gage – und sonntags stellt er sich immer noch auf den Flohmarkt. Inzwischen langt es sogar für eine Krankenversicherung.

Zu Tim in den Laden kommt man nicht, weil man eine ganz bestimmte Platte sucht, sondern weil man sich tatsächlich etwas von ihm empfehlen lassen möchte. Gerade hat es ihm Venetian Snares auf Planet Mu angetan, Breakbeatgewitter mit Deathmetalaroma, von dem er weiß, dass mir das auch gefallen könnte. Natürlich hat er Recht, die Platte wird eingepackt. Man ist nicht der Einzige, dessen Musikgeschmack von Tim Tetzner eingeschätzt werden kann. Er und seine Kunden bilden eine Art Familie, die sich eben nicht abends am Esstisch austauscht, sondern am Verkaufstresen. So oft geht am Tag die Ladentüre nicht auf, doch wenn, wird viel geplaudert und sich eher nebenbei gemeinsam neue Musik „erarbeitet“. Das kann für beide Seiten Folgen haben, gibt Tim Tetzner zu: „Es kommt auch vor, dass ich nach dem Gespräch mit einem Kunden eine bestimmte Platte bestelle, die ich dann auch wirklich super finde.“

Tim Tetzner ist, was die Vermittlung von Musik angeht, undogmatisch und niemals besserwisserisch. Und das ist für jemanden, der mit, sagen wir: seltsamer Musik umgeht, ein großes Kompliment. Denken doch viele, Avantgarde hätte damit zu tun, einen besseren Geschmack zu haben. „Manchmal denke ich schon, dass die experimentelle Musik ein autistisches Publikum anzieht“, meint er, eines, mit dem er wiederum wenig anfangen kann. Seine Idealkundschaft sind „Leute, die kommen und sagen: Super, dass ihr Free Jazz habt und super, dass ihr Gabba habt.“ Wer jedoch entweder nur „super, dass ihr Free Jazz habt“ oder „super, dass ihr Gabba habt“ ausrufen würde, sei ihm willkommen, aber eher suspekt.

ANDREAD HARTMANN

Dense, Danziger Str. 28, Prenzlauer Berg, www.dense.de