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Archiv-Artikel

Das Kabinett Merkel

Nach Herzenslust wird heute schon spekuliert, wer 2006 alles Minister in der Regierung der Kanzlerin werden darf

Außenminister Edmund Stoiber (CSU) hat seinem amerikanischen Amtskollegen Michael Moore (Grüne) versichert, dass die Bundesregierung die neue Friedenspolitik der USA im Nahen Osten „uneingeschränkt unterstützt“. Im Gegenzug versprach Moore, er werde die Olympiabewerbung Leipzigs für 2048 „nachdrücklich unterstützen“. Um ihre Einigkeit in allen Fragen zu demonstrieren, fliegen beide Politiker in der kommenden Woche gemeinsam zur Gründungsfeier der Freien Republik Palästina nach Jerusalem.

So ein Quatsch? Hirngespinste? Träumereien? Frei erfundener absoluter Nonsens, der nichts in einem seriösen Zeitungstext verloren hat? Ja. Aber nur ab Zeile 3. Das mit dem Außenminister Stoiber dagegen ist eine Zukunftsaussicht, die zurzeit ernsthaft erwogen wird – gestern beispielsweise in der SZ auf Seite 1. Stoiber, hieß es da, könnte „dem Rat einiger Christsozialer folgen“ und sich statt um die schwächelnde deutsche Wirtschaft um die große, weite Welt der Außenpolitik kümmern. Im Kabinett Merkel.

Nur falls Sie es noch gar nicht wussten: Dass es ein Kabinett Merkel geben wird, steht seit dem vergangenen Wochenende fest. Stand ja in einem Nachrichtenmagazin, das stets seriös und niemals windig recherchiert. Allen Ernstes meldete der Spiegel: „Die Umrisse eines christlich-liberalen Schattenkabinetts zeichnen sich ab.“ Wurde aber auch Zeit. Schließlich ist die nächste Wahl schon in zweieinhalb Jahren. Da will man dringend wissen, wer wann was abzeichnet in der neuen Regierung. Der wichtigste Umriss: Merkel wird Kanzlerin, natürlich. Stoiber, so ein „Stoiber-Vertrauter“, habe seine Ambitionen auf die Kanzlerschaft „inoffiziell“ zurückgezogen und wolle Superminister unter Merkel werden. Interessant. Ein paar Seiten weiter sagte Stoiber selber offiziell zum selben Thema – gar nichts. Macht nichts. Kein Dementi ist kein Dementi, schon ist die Geschichte rund – und muss weitergeschrieben werden. Also: Vielleicht findet Stoiber das mit dem Superminister gar nicht super? Vielleicht will er wirklich lieber …

Das macht Spaß. Mehr Spaß jedenfalls als sich Gedanken über die nächste Kabinettsumbildung bei Rot-Grün zu machen (die gestern, zum circa 723. Mal, dementiert wurde). Das lohnt sich eh nicht mehr. Zumal am Sonntag, spätestens, der Anfang vom Ende für Rot-Grün beginnt. Nein, nicht weil Horst Köhler Präsident wird und den Machtwechsel „einläutet“, wie schon alle wissen. Nein, viel schlimmer und folgenreicher für Rot-Grün: Die Union erhält dadurch das Recht, einen Spion ins noch regierende Kabinett zu schicken! Der Chef des Präsidialamts darf traditionell dabei sein, wenn sich die Ministerrunde trifft. Auch für diesen Posten werden eifrig Namen genannt. Der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger zum Beispiel. Macht ja auch Sinn, wenn Stoiber Außenminister wird. Doch Pflüger will nicht. Er will „lieber bei Frau Merkel als bei Herrn Schröder im Kabinett sitzen“. Was nur eines zeigt: Pflügers Enttäuschung, dass er in all den Personaltableaus für die neue Regierung Merkel noch gar nicht vorgekommen ist. Er hat wohl nicht kapiert, dass alles nur ein Spiel ist. LUKAS WALLRAFF