: „Auch der Terrorismus sitzt in einer politischen Falle“ sagt Dirk Baecker
Die USA dämonisieren ihre Gegner im Irak als Terroristen – und sind blind für das, was wirklich passiert
taz: Herr Baecker, haben die Folterbilder aus Bagdad Sie überrascht?
Dirk Baecker: Die Veröffentlichung der Bilder hat mich überrascht, der Inhalt nicht.
Warum nicht?
Die USA bekämpfen im Irak nach ihrem Verständnis keine Kriegsgegner, sondern Terroristen. Nach Expertenmeinung bekämpft man den Terrorismus eher mit polizeilichen als mit militärischen Mitteln; und da gehört die Folter unerfreulicherweise dazu, weil sie in der Auseinandersetzung mit einem verdeckt arbeitenden Gegner eines der wenigen Mittel ist, an die erforderlichen Informationen über dessen Infrastruktur heranzukommen. Der US-Terrorexperte Bruce Hoffman hat schon 2002 darauf hingewiesen, dass die Erfahrungen in Algerien und Israel es erwartbar machen, dass sich der von der US-Regierung erklärte „Krieg gegen den Terror“ schon bald als „nasty business“ erweisen wird.
Folter ist also kein Fehler im System, sondern notwendiger Bestandteil der US-Besatzung?
Es ist beides, notwendig, weil die USA nach ihrer Einschätzung im Irak Terroristen bekämpfen, und ein Fehler im System, weil man unter halbwegs geordneten Verhältnissen darauf achtet, dass militärische und polizeiliche Mittel nicht vermengt werden.
Gibt es die Gefahr, dass die USA den Gegner, den sie im Irak bekämpfen, erst erzeugen?
Der US-Soziologe Charles Tilly hat darauf hingewiesen, dass es der US-Regierung an jeder Fähigkeit mangelt, Terror differenziert zu behandeln. Jede gewalttätige Gegnerschaft wird als „terroristisch“ bezeichnet und daher nach demselben Schema bekämpft, gleichgültig ob es sich um kriegerische Aktionen, Guerilla, Bandenkriminalität oder Terror handelt. Das ist ein Fehler und eine Gefahr.
Wenn nicht als Terroristen – wie sollen die USA ihre Gegner im Irak dann bezeichnen?
Die USA haben zweimal auf die Differenzierung von Optionen verzichtet, zunächst, als sie den Krieg gegen den Irak als Bestandteil ihres Kriegs gegen den Terror bezeichneten – dann, als sie den Krieg nach dem Fall Bagdads für beendet erklärten. Damit haben sie sich selbst die Falle gebaut, jede gewalttätige Aktion im Irak als terroristisch interpretieren zu müssen. Die fatale und vielleicht beabsichtigte Konsequenz ist, dass der anderen Seite kein politisches Kalkül unterstellt wird, mit dem man sich mit den Mitteln des politischen Konflikts auseinander setzen könnte, sondern verbrecherische Absichten, die daher auch keine differenzierte Antwort verdienen.
Die USA neigen dazu, den Gegner zum Bösen zu erklären?
Ja, genau. Und das führt nicht weiter. Das ist nur ein Eskalationsmechanismus, der die einen lähmt und den anderen in die Hände spielt. Daher ist es wichtig, wie man den Gegner beschreibt. Die Europäer versuchen gegenwärtig, andere Beschreibungen des Gegners ins Spiel zu bringen und der Bush-Regierung damit aus der Sackgasse ihrer eigenen Beschreibungen herauszuhelfen, nicht wissend allerdings, ob diese Beschreibungen ein semantischer Unfall sind oder ihrerseits ein politisches Kalkül enthalten. Nach wie vor geht es darum, welche Antwort der 11. 9. verdient. Die Amerikaner scheinen ganz auf ein „Sicherheitsritual“ zu setzen, wie der Soziologe Randall Collins sagt. Das hat jedoch seine eigene Dynamik und Blindheit.
Was wäre der Gegenvorschlag?
Gute Frage.
Die Gegenbeschreibung?
Meines Erachtens wird es darauf ankommen, die Auseinandersetzung mit dem gewalttätigen Widerstand im Irak als politischen Konflikt zu beschreiben. Beide Seiten stützen sich auf einen Staat bzw. kämpfen um einen Staat. Beide Seiten setzen Gewalt ein, um ihre Machtansprüche deutlich zu machen. Selbst erfolgreiche Terrorbekämpfung hat immer etwas mit der Anerkennung staatlicher Absichten zu tun, ob in Algerien, in Irland oder in Israel. Es geht darum, die Gewalt nicht als das Böse, sondern als Element eines politischen Kalküls zu begreifen.
Gut – aber gilt das auch für al-Qaida? Da geht es doch nicht um die Eroberung einer Staatsmacht.
In ihrer Entstehung, also in Afghanistan und Saudi-Arabien, schon.
Ist al-Qaida noch in den Koordinaten politischer Rationalität zu fassen?
Al-Qaida betreibt die Destabilisierung unerwünschter Machthaber. Es, was immer es ist, setzt dazu terroristische Mittel ein, die wesentlich durch den Einsatz von Gewalt dort erschrecken („terrorisieren“) sollen, wo die Androhung von Gewalt deswegen keine Wirkung hat, weil derjenige, der droht, zu schwach ist, daraus politische Ansprüche abzuleiten. Also wird über den Terror durchgesetzt, dass man politisch ernst zu nehmen ist. Wir haben es mit einer Auseinandersetzung über die Politik der Weltgesellschaft zu tun, das heißt über die Frage, wie wir leben wollen und wie wir unsere Ansprüche gegenüber Dritten durchzusetzen gewillt sind. Es hat keinen Sinn, al-Qaida nicht ernst zu nehmen, weil dann nur der bloße Schrecken bleibt.
Was folgt daraus für den Kampf gegen den Terrorismus?
Auch der Terrorismus sitzt ja in einer politischen Falle. Seit Machiavelli weiß man, dass derjenige, der Gewalt tatsächlich ausüben muss, trotz aller Wirkungen, die er damit erzielt, schon verloren hat, weil es letztlich die Androhung von Gewalt ist, die Territorien zu pazifizieren und politisch und ökonomisch auszubeuten erlaubt. Wer zuschlägt, zeigt, dass er für wirkliche Politik zu schwach ist. Wir müssen uns in eine Auseinandersetzung mit der muslimischen Welt begeben, die den „Konflikt der Kulturen“ dort ernst nimmt, wo er ernst zu nehmen ist, nämlich als Konflikt über Politik, Wirtschaft, Recht, Erziehung, Wissenschaft und Religion. Wir müssen aufhören, die Lage zu vereinfachen. INTERVIEW: STEFAN REINECKE