: Ziviler statt militärischer Notstand in Aceh
In Indonesiens Provinz Aceh endet nach einem Jahr formal das Kriegsrecht, ohne dass die Rebellen besiegt wurden
BERLIN taz ■ In der indonesischen Unruheprovinz Aceh soll ab heute ein ziviler Notstand das seit genau einem Jahr gültige Kriegsrecht ersetzen. Dies kündigte die Regierung in Jakarta bereits vergangenen Woche an. Damit untersteht das Militärkommando offiziell auch in Aceh wieder der zivilen Kontrolle. Rebellen der nach Unabhängigkeit strebenden Bewegung freies Aceh (GAM) bezeichnen den Schritt als bedeutungslos.
Die in der öl- und gasreichen Provinz an der Nordspitze Sumatras stationierten 40.000 Soldaten und Polizisten sollen weiter GAM-Rebellen jagen. Dabei wurden laut Militär im vergangenen Jahr 1.963 Rebellen getötet, 2.100 gefangen und 1.276 gezwungen, sich zu ergeben. Das sind mehr als die insgesamt 5.250 Rebellen, die das Militär zu Beginn der Offensive schätzte.
Laut Menschenrechtsorganisationen waren viele der Getöteten Zivilisten. Zweifel an den Angaben des Militärs erweckt zudem die geringe Zahl erbeuteter Waffen. Das Militär hingegen preist seine Offensive als Erfolg und behauptet, Aceh heute bis auf elf Dörfer zu kontrollieren. GAM sei nur eine Bedrohung, wenn das Militär in seiner Wachsamkeit nachlasse, sagt der Koordinationsminister für Sicherheit, Hari Sabarno.
Beobachter sehen zwar, dass GAM von der Küste in die Berge zurückgedrängt wurde, bezweifeln aber, ob sie entscheidend geschwächt wurde. „GAM ist sicher nicht besiegt“, sagt Sidney Jones vom Jakarta-Büro der International Crisis Group zur taz. „Nicht ein einziger hoher Rebellenführer wurde bisher gefasst.“
Stattdessen werden dem Militär schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. „Die Menschen in Aceh leben in permanenter Furcht vor Mord, Folter und Verhaftung“, heißt es in einer Erklärung von amnesty international. „Fast alle Aspekte des Lebens normaler Bürger sind vom militärischen Notstand negativ betroffen.“ Laut Militär wird in insgesamt 429 Fällen gegen in Aceh stationierte Soldaten vor Militärgerichten ermittelt.
„Die Probleme in Aceh sind weiter ungelöst“, meint Jones. Sie nennt Willkür, Korruption, Menschenrechtsverletzungen und dass die Bevölkerung weiter nicht das Gefühl habe, dass die Provinz zu ihrem Vorteil regiert werde. „Auch GAM hat an Popularität verloren“, so Jones. Auch die Rebellen hätten sich durch Morde und Erpressungen Feinde gemacht. In den letzten Tagen ließ GAM 130 seiner über 200 Geiseln frei, darunter einen Kameramann, der im vergangenen Juni gekidnappt worden war.
Ursprünglich war das Kriegsrecht zunächst für sechs Monate verhängt worden. Das Militär versprach einen schnellen Sieg, nachdem Jakarta das Interesse am Waffenstillstand verloren hatte und Verhandlungen feststeckten. Die Offensive gegen GAM ist Indonesiens größter Militäreinsatz seit der Invasion Osttimors 1975. SVEN HANSEN