Aus dem Nein wird ein „Ja, aber“

Entsetzen bei der Union: Schröders Steuer-Coup hat CDU und CSU „auf dem falschen Fuß erwischt“

BERLIN taz ■ So etwas hat die Union in fünf Jahren Opposition noch nie erlebt. Da trifft sich die rot-grüne Regierung zu einer netten Klausur in Brandenburg, demonstriert wonnige Eintracht auf sonnigen Wiesen und am nächsten Tag jubelt Bild auf Seite 1: „Deutschland lacht! Es ist vollbracht! Kanzler haut die Steuern runter!“ Euphorischer hätte es Gerhard Schröders Pressestab nicht formulieren können. Deutschlands größte Zeitung, die mit Rot-Grün so lang im Clinch lag, lobt die Regierung jetzt in höchsten Tönen, verleiht Schröder gar den „Steuer-runter-Orden“. Und die Union? Steht wie ein Spielverderber da. Das spontane Nein von Stoiber, Koch und Merkel zum Vorziehen der Steuerreform mag inhaltlich begründet sein. Die öffentliche Wirkung ist verheerend – und sorgt in der Union für Entsetzen.

„Ganz klar: Wir wurden auf dem falschen Fuß erwischt“, gibt ein Abgeordneter zu. Und einer der einflussreichsten CDU-Leute im Bundestag kritisiert: „Es genügt nicht, Nein zu sagen, wir müssen sagen, was wir selber wollen.“ Wenn man sich gegen eine populäre Maßnahme der Regierung ausspreche, sei das „natürlich erklärungsbedürftig“. Diese Erklärung sei von der Unionsspitze „bisher nicht gegeben worden“. Auch ein anderer Abgeordneter ist ratlos: „Wir haben ein Kommunikationsproblem.“ Monatelang habe seine Partei den Eindruck erweckt, sie sei „die einzig wahre Steuersenkungspartei“ – und nun? Schröder habe es geschafft, „dass wir jetzt alt aussehen“. Sehr alt sogar: Der DAX steigt, der Hauptverband des Einzelhandels freut sich über eine mögliche Konjunkturbelebung – und FDP-Chef Guido Westerwelle warnt die Union, seine Partei werde eine Blockade der Steuerreform im Bundesrat verhindern. Die FDP will Steuersenkungen, klar.

Doch nicht nur mit dem kleinen Koalitionspartner in den Ländern dürfte es Ärger geben, wenn die Union bei ihrem Nein bleibt. Auch die CDU-Mittelstandsvereinigung kritisierte gestern den Kurs der eigenen Partei. „Ich bin da gar nicht glücklich drüber“, sagte ihr Vorsitzender Peter Rauen. „Für mich gibt es gar keine Frage: Das Vorziehen der Steuerreform muss kommen.“

Rauen ist sich deshalb sicher: „Wir werden letztlich das Vorziehen der Steuerstufe mittragen. Wir würden sonst gegen unsere eigenen Argumente gehen“, sagte das CDU-Vorstandsmitglied und verwies auf Beschlüsse der Union, in denen ein Vorziehen der Steuerreform gefordert wird. Auch die SPD weist mit Vergnügen darauf hin, wie CSU-Chef Edmund Stoiber vor einem Jahr eine Verschiebung der Steuerreform wegen der Flutkatastrophe abgelehnt hatte. „Höhere Zinsen sind das kleinere Übel als höhere Steuern“, sagte Stoiber damals. Als Kanzlerkandidat. Jetzt, als Ministerpräsident im Wahlkampf, lehnt er ein Vorziehen der Steuerreform rundweg ab. Keiner sagt so laut Nein wie Stoiber. Bei CDU-Chefin Angela Merkel und CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz klang es gestern schon eher wie „Ja, aber“. Man könne mit der Regierung reden, sagte Merkel, nötig sei nur ein „realistisches Finanzierungskonzept“. Stoiber will davon nichts wissen – schließlich würden von so einem Konzept bayerische Subventionsempfänger betroffen sein. Deshalb sagt Stoiber, Einschnitte bei der Entfernungspauschale und die Streichung der Eigenheimzulage seien „falsche Steuererhöhungen“, die Bayern im Bundesrat nicht mitmachen werde.

Stoiber macht wieder einmal deutlich, was ihm am wichtigsten ist: die Landtagswahl im September. Wie bei der Gesundheitsreform sperrt er sich gegen unpopuläre Kürzungen – und verärgert damit Kollegen von der CDU, denen allmählich die Geduld mit dem Bayern ausgeht. Es dürfe nicht so weit kommen, „dass wir am Ende alle als Blockierer dastehen“, warnt CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Auch die Union werde nicht darum herumkommen, Subventionskürzungen mitzutragen. Eine Blockade im Bundesrat kommt für Bosbach nicht in Frage. Diese Strategie habe man zu Recht verurteilt, als die SPD zu Zeiten Helmut Kohls die Steuerpolitik der Regierung zunichte gemacht habe. Deshalb, so Bosbach, würde es der Union „niemand honorieren, wenn wir einen auf Lafontaine machen würden“.

Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) setzt sich von Stoiber ab. „Wir brauchen die Steuerentlastung“, sagte Teufel und begrüßte die Ankündigungen der Regierung ausdrücklich – im Gegensatz zu Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff. Gerhard Schröder kann sich entspannt zurücklehnen. Kaum ist seine Kabinettsklausur vorbei, da ist es schon wieder da, das „Meinungschaos in der Union“, das der CDU-Wirtschaftsrat kürzlich beklagte. Manche Abgeordneten packt das Grausen. „Es dauert einfach zu lange, bis sich unsere Diadochen auf eine einheitliche Haltung einigen“, sagt einer und befürchtet „möglicherweise 14 Tage Chaos“. LUKAS WALLRAFF