: An Palmen hängen Monitore
Salvador de Bahia im Nordosten Brasiliens ist bekannt für Karneval und Kokosnüsse. Was weniger bekannt ist: Das dortige Goethe-Institut ist zu einem wichtigen Zentrum für Medienkunst geworden
von MEIKE JANSEN
Immer noch kämpft der Norden Brasiliens mit dem Vorurteil der Rückständigkeit und dem Missverständniss, dass er außer afrobrasilianischer Kultur, Sonne und Stränden nicht viel zu bieten habe. Wie auch, wenn die 180 Jahre Unabhängigkeit Brasiliens hier im Norden erst heute gefeiert werden – mit zehn Monaten Verspätung. Distanz frisst eben doch Information.
Wie in den anderen Metropolen des Landes wird auch in Salvador, der Hauptstadt des Bundeslandes Bahia, der Körperkult hoch gehandelt. Fast jedes Haus ist mit einem Fernseher ausgestattet. So möchte man auch hier zumindest mit dem Äußeren der Fernsehstars gleichziehen. Zudem verfügt ein Großteil der Menschen über nicht sehr viel mehr als den eigenen Körper. Und bis vor etwa 130 Jahren war selbst das nicht üblich. Immerhin stammen hier 80 Prozent der EinwohnerInnen von SklavInnen ab.
An der Universidade Federal da Bahia, der Bundesuniversität, sind zehn Prozent der Plätze für farbige Studierende reserviert. Doch deren Familien können kaum so viel Geld aufbringen, als dass sie auf die finanzielle Unterstützung der Kinder verzichten könnten. Ayrson Heraclitos hat an der UFBA bildende Kunst studiert. Heute arbeitet er als Künstler und unterrichtet an der Katholischen Unversität Salvadors. Seine anfängliche Begeisterung für Film ist inzwischen der für Aktions- und Installationskunst gewichen. Die Medien dienen ihm lediglich als Dokumentationsmedium. Ein Material, mit dem der 35-Jährige gerne arbeitet, ist Fleisch. Im Herbst 2000 schneiderte Heraclitos einigen Freiwilligen Kleidung und dicke Schuhe aus dem organischen Material auf die Haut. In den Ausstellungsräumen des Goethe-Instituts ließ er die so in Fleisch gepackten Menschen darauf mit Feuer foltern. Texte von Garcia Davila Doragao, einem Großgrundbesitzer des 17. Jahunderts, der in den blumigsten Worten die Qualen seines Sklaven beschrieb, untermalten die Szene. Das so während der Performance entstandene Foto- und Videomaterial vervollständigte später die Ausstellung in der alten Villa, in der noch wochenlang der Geruch schmorender Körper hing.
Das Goethe-Institut liegt auf einem der Hügel, die für die entspannte Atmosphäre in der Stadt maßgeblich sind. Akkurat mit Hochhäusern für die Mittel- und Oberschicht bebaute Erhebungen wechseln sich patchworkartig mit denen ab, die aufs Waghalsigste von den roten Backsteinhäusern der Armen überzogen sind. Getrennt werden sie zumeist nur von einer Straße in der Senke. Das Institut Cultural Brasil-Alemanha, wie das Goethe-Institut offiziell heißt, wurde unter dem Leiter Peter Anders mehr und mehr zu einem Zentrum für den künstlerischen Umgang mit Medien. Im letzten Jahr stellte dort der deutsche Künstler Julian Rosefeldt seine Videoinstallation „Global Soap“ vor, eine Gegenüberstellung von Sequenzen aus Seifenopern aus verschiedenen Ländern. Parallel dazu wurde die zwölfteilige Videoinstallation „Corpos Interditados – Verbotene Körper“ des bahianischen Künstlers Danillo Barata gezeigt. Auf den Monitoren, die an drei Masten wie Kokosnüsse an Palmen hingen, waren nackte Menschen zu sehen. Aufrecht stehend, drehten sie sich unaufhörlich um ihre eigene Achse. Dazu konnte man scheinbare abstrakte Klänge hören, die sich als die Absauggeräusche bei Schönheitsoperationen herausstellten.
Am 23. Mai dieses Jahres inszenierten Barata und Heraclitos gemeinsam eine Aktion im Rahmen des mehrtägigen Festival „Da Livre Expreão Sexual – Vom freien Ausdruck des Geschlechts“. Dabei projizierte Danillo Barata Ausschnitte aus „Corpos Interditados“ an eine Hauswand. In dem überwiegend von Homosexuellen und Transvestiten bewohnten Areal fühlten sich die Künstler mit ihrer Inszenierung gut aufgehoben. Doch nach nur wenigen Minuten erschienen 15 wie üblich mit Maschinenpistolen ausgestattete Polizisten, die von AnwohnerInnen benachrichtigt worden waren, die um Sitte und Anstand bangten. Noch während die Argumente ausgetauscht wurden, endete die Vorstellung. Im Anschluss wurden der aufgeregten Menge Dias mit Textauszügen vorgeführt, die auf diskriminierende Weise von Übergriffen auf Homosexuelle berichteten. Ayrson Heraclitos hatte sie in einer fünfjährigen Recherche in salvadorianischen Zeitungsarchiven zusammengetragen. Die weitere Einigung mit der Polizei verlief rasch. Die Aktion konnte zu Ende gebracht werden.
Nur wenige Tage darauf wird im Goethe-Institut eine Reihe von Veranstaltungen fortgesetzt, die sich mit der Schnittmenge aus VJ(Video Jokey)-Kultur und experimenteller Filmkunst beschäftigt. Diskussionen und Workshops wie die Präsentation des Back-up-Filmfestivals der Bauhaus-Universität Weimar werden hier gerne angenommen, zumal alle Veranstaltungen gratis zu besuchen sind. Zu einer Diskussion über die Bedeutung der VJ-Kultur finden sich rund 120 BesucherInnen ein. AktivistInnen-Gruppen aus Recife und Salvador, der brasilianischen VJ-Star Alexis aus São Paulo sowie die beiden Künstler des Berliner audivisuellen Projekts „Rechenzentrum“ stehen dem interessierten Publikum Rede und Antwort. Marc Weiser und Lillevän Potboy wundern sich anfänglich über die Fragen, die ausschließlich ihre Hardware betreffen. Nur zaghaft ergeben sich am zweiten Tag während eines Workshops Gespräche, zu Beispielen aus der Fluxusbewegung oder Oskar Fischinger, der bereits in den 30er-Jahren mit der Synthese von Ton und Bild anhand gezeichneter Licht-Ton-Spuren experimentierte und so die Grundlage jedlicher experimenteller Videokultur schuf.
VJ Alexis erklärt später: „São Paulo ist fünf Jahre hinter dem Stand der elektronischen Clubszene in Deutschland, Salvador zehn Jahre.“ Doch scheint der künstlerische Umgang mit Bild- und Tonmaterial in der stark ausgeprägten VJ-Kultur Brasiliens generell unüblich. Was wohl weniger an dem Mangel an ausgefeilter Technik liegt als an der fehlenden Verknüpfung von Clubkultur und akademischen Interessen.Wie wichtig allerdings visuelle Informationen in diesem Land sind, verdeutlicht ein Projekt, das ein Radiosender zeitgleich in São Paulo umsetzte. Für sein Musikprogramm produzierte Alexis Filme, die synchron zur Radiosendung auf zahlreiche Videowände übertragen wurden. Wer ist da also hinter wem zurück?