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Archiv-Artikel

Der grüne Riese

Bisher hat Ang Lee einfache Geschichten mit großer Komplexität erzählt. Nun sucht er einfache Lösungen für komplizierte Sachverhalte: „Hulk“

Ein Monster –geboren aus einem verdrängten Vaterkonflikt

von ANDREAS BUSCHE

Ang Lee als Regisseur für die Verfilmung des Marvel-Comics „The Incredible Hulk“ zu gewinnen, hat als Idee seinen Reiz. Der Sommer-Blockbuster 2003 und der Liebling der Kritiker, dessen Schwertkämpfer-Epos „Tiger & Dragon“ heute als der erfolg- und einflussreichste Arthouse-Film Hollywoods gilt: Das ist ein Projekt bilateraler Interessen. Allein der Name Ang Lee hat der Produktion schon im Vorfeld Prestige verschafft, steht er doch im aktuellen Kommerzkino für eine Wertetradition, die nahezu unkorrumpierbar für eine persönliche Bildsprache eintritt.

Doch wie sich an „Hulk“ zeigt, sind die ästhetischen Differenzen zwischen dem ostasiatischen Kino (lange, fließende und sorgfältig komponierte Einstellungen) und Marvels Pop-Universum (verkeilte, bewegliche und überlappende Bild-Tableaus/Split-Screens) unüberwindlich. Die körperliche Eleganz und emotionale Erhabenheit von Lees Schwertkämpfern aus „Tiger & Dragon“, ihre Fähigkeit, allein kraft ihrer spirituellen Verwurzelung Raum und Zeit aus den Angeln zu heben, werden in „The Hulk“ schon durch die unbeholfene Erscheinung des grünen Riesen gebrochen. Lee ist sich dessen wohl bewusst. Sein Hulk sieht wie die Karikatur eines computergenerierten Monsters aus.

Wo Hollywoods Comic-Verfilmungen nach einem bedingungslosen Realismus der künstlichen Bilderwelten streben, geht Ang Lee mit „The Hulk“ den umgekehrten Weg. Er überhöht die Künstlichkeit der Vorlage durch eine formale Unverhältnismäßigkeit, die seinem Film streckenweise eine expressionistische Klasse verleiht. So scheint sein Hulk, ähnlich wie King Kong in der ersten Verfilmung von Schoedsack aus dem Jahr 1933, in manchen Szenen einige Meter groß, in anderen dafür umso gigantischer. Was hier als letzter Ausdruck von Menschlichkeit zurückbleibt, sind die traurigen Augen in der aus Bits and Bytes modellierten grünen Gesichtsmaske.

An einer bewusst ironischen Brechung seines Rufes arbeitet Lee besonders in den Flugszenen des Hulk, die in puncto Fliehkraft und Eleganz eher an die Stop-Motion-Animationen Ray Harryhausens erinnern. Lees Hulk überwindet mit einem Satz gleich mehrere Meilen und schafft es auch schon mal, sich aus dem Stand an einen vorüberfliegenden Helikopter zu klammern, bleibt aber immer ein ungehobelter Klotz.

Dem kniffligsten Problem einer realistischen Annäherung an eine nichtmenschliche Figur ist Ang Lee so geschickt ausgewichen. Im Gegenzug jedoch hat er die menschliche Tragödie des Wissenschaftlers Bruce Benners (Eric Bana), den Kern der Comic-Erzählung, mit allzu viel Bedeutung beladen. Der Generationenkonflikt, den „Hulk“ weit mehr noch als die Vorlage von Stan Lee und Jack Kirby heraufbeschwört, gipfelt in einem gutgläubigen Clash der Institutionen, die in der Realität längst kooperieren: Universität und Militär. Benner ist ein Nerd im Dienste des „guten“, richtigen Fortschritts; er und seine Exfreundin Betty Ross (Jennifer Connelly) halten das Ideal einer fröhlichen Wissenschaft hoch, während der corporate friend in Gestalt von Benners Widersacher Talbott (Josh Lucas) die Laboratorien nach nützlichen Forschungsergebnissen für den militarisch-industriellen Komplex durchschnüffelt. Eines Nachts kommt es im Labor zu einem Unfall, der zusammen mit den Folgen eines alten genetischen Experiments seines Vaters die biochemische Kettenreaktion in Benners Körper triggert.

Im Ringen um ihre Väter doppelt sich bei Lee der Ermächtigungskampf der jungen Wissenschaftler. Benner hat zeit seines Lebens um seine Vergangenheit und die Erinnerung an seinen Vater David (Nick Nolte) gekämpft, von dem er glaubte, dass er vor Jahren bei einem verbotenem Experiment ums Leben gekommen sei (von diesem Selbstversuch erzählt der Prolog von „The Hulk“). Der verdrängte Vaterkonflikt findet in Benners körperlichem „Handicap“ schließlich seine physische Manifestation. Bettys Vater, General Ross (Sam Elliot), dagegen ist Repräsentant einer rigiden Militär-Autorität, die von zwei Generationen Benner-Forschung gründlich untergraben wurde. Ihren verzweifelten Versuchen, dem Fluch der ewigen Kindheit zu entkommen, steht immer der militärische Machtapparat im Weg.

Die übertriebene Militärpräsenz ist der eigentliche Anachronismus von Ang Lees „Hulk“-Verfilmung. Deren Drastik kommt jedoch nicht unbedingt überraschend: So konfus ist das Drehbuch, dass am Ende nur noch eindeutige Fronten Klarheit schaffen können. Komplizierte Sachverhalte erfordern einfache Lösungen; Ang Lee ist bisher entschieden besser darin gewesen, seine einfachen Geschichten in großer Komplexität zu erzählen.

„Hulk“. Regie: Ang Lee. Mit Eric Bana, Nick Nolte, Jennifer Connelly u. a. USA 2003, 138 Min.