Der neue Ölboom kommt

Die Ölmultis stagnieren. Kleine, flexible Firmen führen heute die weltweite Suche nach neuen Ölvorkommen an

VON DOMINIC JOHNSON

Ein aktueller Geheimtipp der internationalen Ölindustrie liegt auf halbem Weg zwischen New York und Bagdad. Aus den Offshore-Ölfeldern von Mauretanien im Atlantischen Ozean sollen ab Ende nächsten Jahres rund 75.000 Barrel Öl pro Tag sprudeln. Die beteiligten Firmen sind begeistert: Der westafrikanische Wüstenstaat könne ein Rivale zur Nordsee werden, behauptet die britische „Dana Oil“.

Von Mauretanien bis Namibia suchen internationale Ölfirmen entlang Afrikas Westküste nach Öl. Und nicht nur dort: Weltweit ist Öl- und Gasexploration eine Wachstumsbranche. Allein in den letzten Tagen gab es Fundmeldungen aus Ägypten und Algerien, aus den Territorialgewässern von Malaysia und Indonesien, vor den Küsten Westaustraliens und Indiens. Venezuela sucht 10 Milliarden Dollar zum Ausbau seiner Förderkapazitäten. Chinesische Staatsfirmen setzen sich in Kasachstan fest und planen Pipelines ans Kaspische Meer.

Der Grund ist einfach: Der weltweite Ölverbrauch wächst schneller als die Produktion. Derzeit, so die Internationale Energiebehörde (IEA) in ihrem letzten Trendbericht, verbraucht die Welt 78,7 Millionen Barrel Öl pro Tag. Bis Ende des Jahres sollen es 82,5 Millionen sein. Das ist der schnellste Zuwachs seit 1988. In China, wo derzeit knapp über 6 Millionen Barrel Öl täglich konsumiert werden, liegt die jährliche Zuwachsrate im Verbrauch bei 20 Prozent. „Dieser willkommene Aufschwung wirtschaftlicher Aktivitäten stellt die Frage der Sicherung des notwendigen Angebots in den Vordergrund“, analysiert die IEA.

Und genau an der „Sicherung des Angebots“ hapert es. In den Ländern mit den größten Reserven – Saudi-Arabien und Irak – steigt die politische Unsicherheit. In traditionellen Fördergebieten wie der Nordsee stagniert die Produktion. Sogar Indonesien, Ölexporteur und Opec-Mitglied, ist zum Nettoimporteur geworden. Kein Wunder, dass die Ölpreise auf dem Weltmarkt auf das höchste Niveau seit Anfang der 90er-Jahre gestiegen sind.

Paradox dabei ist: Die Aktien der Ölkonzerne steigen nicht. Das große Ölgeschäft ist unsicher geworden – nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Russland. Der Skandal um Shell – das jüngst zugeben musste, seine Reserven in Nigeria aus politischen Gründen künstlich um ein Fünftel (4 Milliarden Barrel) aufgeblasen zu haben – erschüttert das Vertrauen der Anleger. Das Rennen im Kampf um neues Öl machen die kleinen Firmen mit wenig gebundenem Kapital, hoher Risikobereitschaft und der ständigen Möglichkeit, im Erfolgsfall fette Profite bei der Veräußerung von Konzessionen an größere Unternehmen zu machen. Das verändert das internationale Ölgeschäft: Es wird unübersichtlicher und skrupelloser.

Als der US-Ölgigant Texaco 1997 auf massiven Druck seine Ölgeschäfte in Birma aufgeben musste, verkaufte er an die kleine britische „Premier Oil“. Diese Explorationsfirma verkaufte ihren Birma-Anteil später nach Malaysia weiter. Sie konzentriert sich inzwischen auf Mauretanien und Pakistan und liebäugelt sogar mit Afghanistan. Wagemutig sind auch die irische „Tullow Oil“ und die kanadische „Canadian Natural Resources“ mit ihrer Ölexploration vor der von Bürgerkrieg erschütterten Elfenbeinküste. Am abenteuerlichsten war der Vorstoß der kanadischen „Heritage Oil“ vor zwei Jahren, die schlimmsten Kriegsgebiete im Osten der Demokratischen Republik Kongo als Konzession zur Ölprospektion zu erwerben. Genutzt hat sie das Gebiet nicht, aber im benachbarten Uganda drillt „Heritage Oil“ weiterhin gemeinsam mit „Energy Africa“ aus Südafrika.

Die neue Ölsuche bedeutet auch eine Chance für Schwellenländer. Die staatlichen Ölfirmen Chinas und Malaysias haben in Asien und Afrika regelrechte Firmenimperien aufgebaut und sind ebenbürtige Rivalen für die etablierten Multis geworden. Die südafrikanische „Energy Africa“, zur Hälfte in malaysischem Besitz, wehrt sich derzeit heftig gegen ein 500 Millionen Dollar schweres Übernahmeangebot von „Tullow Oil“. Und Argentiniens Regierung will zusammen mit Brasilien, Bolivien und Venezuela eine staatliche lateinamerikanische Ölexplorationsfirma gründen, um den Konkurrenten aus Europa und den USA einen Riegel vorzuschieben.

Nur sind multinationale Firmen aus Schwellenländern erfahrungsgemäß noch rückständiger als westliche, was die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards sowie transparenter Geschäftspraktiken angeht. Einer der problematischsten neuen Trends ist überdies, dass Firmen mit Hintergründen in kriegsfördernder Rohstoffausbeutung ins Ölgeschäft einsteigen. So gehört „Heritage Oil“ zu einem Geflecht von Unternehmen, das aus der aufgelösten südafrikanischen Söldnerfirma „Executive Outcomes“ hervorgegangen ist – diese stellte Anfang der 90er-Jahre ehemalige Apartheidsoldaten zur Bewachung von Bergwerken und Ölfeldern in Ländern wie Sierra Leone und Angola an. Ein anderes Unternehmen aus diesem Kreis, „Diamond Works“, das während des Bürgerkrieges in Sierra Leone aktiv war, hat heute eine Ölfiliale namens „Energem Petroleum“, die Mitte April mit Chinas staatlicher Ölexplorationsfirma „PetroChina International“ ein Abkommen zum Aufbau von Joint Ventures in Afrika abschloss.

Dass der nächste Ölboom kommt, ist sicher. Sauber wird er nicht.