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Archiv-Artikel

Ein Briefbeschwerer als Dank

Am Sonntag bestimmt die Bundesversammlung die Nachfolge von Johannes Rau. Von 1.205 Wahlfrauen und -männern ist Katalin Gennburg aus Falkensee die zweitjüngste

Am Dienstag muss Katalin Gennburg ihre mündliche Abiturprüfung in Deutsch überstehen. Aber daran verschwendet die 20-Jährige aus dem brandenburgischen Falkensee zurzeit keinen Gedanken. Der weitaus aufregendere Termin ist morgen: Die junge Frau mit Vorliebe für auffällige Klamotten und radikale Ansichten ist die zweitjüngste Wahlfrau der Bundesversammlung – altersmäßig unterboten nur von einem 18-jährigen CDU-Wahlmann aus Thüringen.

Im brandenburgischen Kommunalwahlkampf im Herbst 2003 wurde die PDS-Kandidatin für die Falkenseer Stadtverordnetenversammlung angesprochen, ob sie sich den Einsatz als Delegierte in Berlin vorstellen könne. Katalin war sofort bereit: „Ich will schließlich ganz viel Erfahrung sammeln.“ Während der Wahl und des anschließenden Empfangs bei Bundestagspräsident Wolfgang Thierse will sie versuchen, „an den einen oder anderen Politiker heranzukommen, um kritische Fragen loszuwerden“. Zum Beispiel die, warum Angela Merkel als mächtigste Frau im Staat keine feministische Politik macht. Die angehende Studentin gibt sich kämpferisch – und bekommt dann doch etwas Angst vor der eigenen Courage: „Ob ich da nicht zu viel versprochen habe?“ Überhaupt nicht kompromissbereit ist sie in der Kleidungsfrage: „So bunt wie immer und noch schlimmer“ will sie in den Reichstag gehen.

Dass Gesine Schwan ihre Stimme bekommt, ist für Katalin spätestens nach dem Besuch der Kandidatin bei den Wahlleuten der Sozialisten klar: „Mir hat imponiert, dass sie zu ihrer Überzeugung steht und uns gesagt hat: Ja, ich bin Antikommunistin, daran ändere ich jetzt auch nichts.“ Eine Frau als Bundespräsidentin, „das wäre ein positives Signal“. Horst Köhler, wen wundert’s, kann bei ihr keine Sympathien gewinnen: „Ein Mann aus der Wirtschaft, Verfechter einer Politik des Geldes, die bei uns schon viel zu weit gegangen ist.“ Dass es zur großen Überraschung kommt, glaubt die PDS-Wahlfrau nicht. Ein „paar Wackelkandidaten“ aus CDU und FDP, die vielleicht sogar einen zweiten Wahlgang erzwingen könnten, erwartet sie hingegen schon.

Bleiben wird der 20-Jährigen außer der Erfahrung auf dem Berliner Parkett ein massiver Briefbeschwerer aus Glas mit Reichstagssymbol und Gravur, ein Geschenk für alle Delegierten. Willkommen in der großen Politik: „Ich dachte schon an eine Paketbombe, als das Ding geliefert wurde“, grinst die Jungdelegierte. JAN STERNBERG

Am Sonntag um 12 Uhr eröffnet Bundestagspräsident Thierse die 12. deutsche Bundesversammlung, gegen 14.30 Uhr wird das Ergebnis des ersten Wahlgangs erwartet. Wer das Ereignis quasi in Tuchfühlung verfolgen möchte, kann dies vor dem Westportal des Reichstagsgebäudes tun: Ab 11 Uhr überträgt dort die ARD die BundespräsidentInnenwahl auf Videoleinwand