Folterskandal zieht immer weitere Kreise

Weitere Enthüllungen über Misshandlungen in US-Gefängnissen im Irak verdichten den Eindruck, dass es sich um eine Kombination aus systematischem Versagen militärischer Befehlsgewalt und beabsichtigter Rechtlosigkeit handelt

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Kein Tag ohne neue Enthüllungen im Folterskandal, neue Vorwürfe oder Bilder. Alle Hoffnungen der US-Regierung, die Affäre würde nach den begonnenen Kriegsgerichten in Bagdad und wiederholten Schuldbekenntnissen der Topgeneräle aus den Schlagzeilen verschwinden, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Der Skandal zieht immer weitere Kreise.

Gestern veröffentlichte die Washington Post neue Bilder über Misshandlungen irakischer Gefangener im Gefängnis Abu Ghraib. Das Blatt zitiert ferner eidesstattliche Erklärungen von Häftlingen, die über Erniedrigungen und Quälereien berichten. So seien sie gezwungen worden, Mahlzeiten aus Toiletten zu essen und sich wie Tiere auf allen Vieren zu bewegen. Ein Sprecher des US-Außenamts glaubt, dass es sich bei den neuen Bildern um jene handle, die Kongressabgeordnete jüngst hinter verschlossenen Türen einsehen durften und deren Veröffentlichung die US-Regierung abgelehnt hatte.

Laut Fernsehsender NBC ermittelt das Pentagon gegen die Eliteeinheit Delta Force, nachdem es Hinweise über Misshandlungen bei Verhören in einem geheimen Internierungslager beim Flughafen von Bagdad gegeben habe. Dort müssten Häftlinge stets Kapuzen über dem Kopf tragen. Ihnen würden zum Verhör Drogen verabreicht.

Der TV-Sender ABC enthüllte, dass Gefängnisleiter aus US-Haftanstalten, denen persönliche Misshandlungen oder Duldung von Gewalt vorgeworfen und die daher vom Dienst suspendiert wurden, von der US-Armee zum Einsatz in irakische Gefängnisse geschickt wurden.

Generäle und Regierung beharren immer noch darauf, dass es sich beim Folterskandal allenfalls um kleine „Systemprobleme“ handle, aber keine „Misshandlungskultur“, wie es der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak, Ricardo Sanchez, formulierte. Doch die Widersprüche bleiben. So sprach der erste Untersuchungsbericht von General Antonio Taguba von einem „organisierten Prozess. Nach Medienberichten bat der Militärische Geheimdienst General Sanchez, besonders aggressive Verhörmethoden anwenden zu dürfen, um das Schweigen von Gefangenen zu brechen.

Zudem wurde Geheimdienstlern erlaubt, Militärpolizisten einzuspannen, die gewöhnlich keine Rolle bei Verhören spielen. Geheimdienst und Militärpolizisten in Abu Ghraib folgten bei der Folter einer geheimen Anweisung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Dieser habe persönlich abgesegnet, dass harte Verhörtechniken, die bei mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen in Afghanistan und Guantánamo angewendet werden, auf irakische Gefängnisse ausgeweitet werden dürfen. Das Pentagon dementierte dies. Doch Armeejuristen sagen, dass sie intern bereits Ende 2002 Verhörmethoden kritisiert hätten, die Rumsfeld für die Guantánamo-Häftlinge genehmigt hatte und die ihrer Einschätzung nach die Genfer Konvention verletzten.

Je mehr Einzelheiten des Folterskandal bekannt werden, umso klarer wird, dass es sich um eine Kombination aus systematischem Versagen militärischer Befehlsgewalt und beabsichtigter Rechtlosigkeit handelt – „eine Kultur der Korruption“ und „Verachtung der Rechtstaatlichkeit“, so die Washington Post.