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Archiv-Artikel

Charterflug zum Foltercenter

Zwei Asylsuchende werden in Schweden gekidnappt und ins Gefängnis nach Kairo gebracht. „Eine missglückte Aktion“ – bedauert die Regierung

„Kidnapping auf Verdacht ist kein Einzelfall“

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

An Handgelenken und Knöcheln zusammengekettet und mit verbundenen Augen wurden Ahmed Agiza und Mohammad al-Zery am 18. Dezember 2001 von der Polizei zum Stockholmer Flughafen Bromma geschafft. Dort nahmen laut Augenzeugenberichten sechs bis acht maskierte Männer die beiden Asylsuchenden in Empfang. Sie schnitten ihnen die Hosen auf, führten gewaltsam Stuhlzäpfchen in den After ein und banden ihnen Windeln um. Mit einer Dreieckshaube über dem Kopf brachte man die Entführten zu einem wartenden Flugzeug, wo sie in speziellen Ledergeschirren festgegurtet wurden. Am Abend desselben Tages, drei Monate nach den Attentaten auf World Trade Center und Pentagon, um 21.49 Uhr, startete das Jetflugzeug vom Typ Gulfstream 5 mit der Registrierungsnummer N379P in Richtung Kairo.

Aufgedeckt wurde der Ablauf der Abschiebeaktion in dieser Woche von dem TV-Magazin „Kalla Fakta“. Ein Reporter, der auf die Geschichte aufmerksam geworden war und sich bei der Eigentümerfirma des Gulfstream-Flugzeugs in den USA nach Leasingmöglichkeiten erkundigte, erhielt die Auskunft, dass diese Maschine längerfristig an US-Regierungsbehörden vermietet sei. Nur eine Viertelstunde später hatte er den schwedischen Geheimdienst SÄPO am Telefon: Man sei vom „amerikanischen Zusammenarbeitspartner“ kontaktiert worden, welcher sich wundere, was der Journalist da recherchieren würde. Wie sich rausstellte, waren die Maskierten, welche die beiden Ägypter auf schwedischem Boden abgefertigt hatten, CIA-Agenten.

Die Ägypter Agiza und al-Zery waren 1999 bzw. 2000 zusammen mit ihren Familien als Asylsuchende nach Schweden gekommen. Beide waren in Ägypten 1998 in ihrer Abwesenheit im Rahmen von pauschalen Massengerichtsverfahren wegen angeblicher Terrorhandlungen zu 24 bzw. 26 Jahre langen Gefängnisstrafen verurteilt worden – sie seien in die Terrortaten von Luxor 1997, wo 58 Touristen getötet wurden, und in den Sprengstoffanschlag auf die ägyptische Botschaft in Pakistan 1995 verwickelt gewesen. Die Rechtsanwälte von Agiza und al-Zery wurden von der schwedischen Regierung zwei Tage später von der erfolgten Abschiebung unterrichtet. Eine rechtskräftige Entscheidung in ihrem Asylverfahren stand noch aus. In ägyptischen Gefängnissen wurden die beiden Ausgewiesenen nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ und Berichten von Familienangehörigen sowie ägyptischen Rechtsanwälten Folterungen ausgesetzt. Bis heute warten sie vergeblich auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren.

Das Schicksal der Ägypter ist ein Beweis für glänzend funktionierende Verbindungen zwischen Amerika und Schweden. Hans Dahlgren, Leiter der Regierungskanzlei von Ministerpräsident Göran Persson, sagt zur Rechtfertigung: Es habe den Verdacht gegeben, dass die Ägypter einen Terroranschlag von schwedischem Boden aus vorbereiteten, „und damit wollten wir nichts zu tun haben“. Wenige Stunden vor der Abschiebung traf sich das Regierungskabinett an diesem 18. Dezember zu einer eigens dafür einberufenen Sondersitzung, wo man die Ausweisung der Asylsuchenden absegnete. Und Dahlgren versucht Stockholm, sowohl was die Abschiebeprozedur als auch die späteren Folterungen in Ägypten angeht, reinzuwaschen: „Es war ja nicht Schweden, das die Gefangenen auf diese Weise behandelt hat.“

Eine Entschuldigung, die Anna Widenmark vom Helsinki-Komitee für Menschenrechte als „absolut verblüffend und aufsehenerregend“ charakterisiert: „Schließlich hat Schweden ja die Voraussetzung für die Folterungen erst geschaffen.“ Und selbst das sozialdemokratische Aftonbladet, auflagenstärkste Tageszeitung des Landes, kann seine Regierung nicht mehr verstehen und spricht angesichts solcher Erklärungsversuche von einem „Kollaps des schwedischen Rechtssystems“. Für die liberale „Dagens Nyheter“ ist es ein „Skandal“ – Stockholm überlasse das Denken und Handeln einfach fremden Regierungen und stecke dann den Kopf in den Sand. War die bloße Abschiebung der beiden Asylsuchenden bereits heftig kritisiert worden und war Stockholm von amnesty international schon damals auf die Gefahr einer Abschiebung zur Folterung hingewiesen worden, wird sich die Regierung angesichts der nun verspätet bekannt werdenden Einzelheiten nicht nur im Parlament verantworten müssen – u. a. die Grünen haben bereits Anfragen eingebracht –, sondern steht auch unter massiven Vorwürfen in so gut wie allen Medien: Mit welchem Recht Stockholm eigentlich in Zukunft die USA wegen rechtsstaatswidriger Menschenrechtsverletzungen kritisieren wolle, wenn man selbst solche Zugriffe seitens der USA auf schwedischem Boden absegne.

Doch zu mehr als dem Eingeständnis einer „missglückten Aktion“ konnte sich die Regierung bislang nicht aufraffen. Und Justizminister Thomas Bodström will sich aus der juristischen wie politischen Verantwortung für die menschlich erniedrigenden Umstände der Abschiebungsaktion ganz drücken: Das seien „operative Fragen“ und dafür sei die SÄPO allein verantwortlich.

Schweden hat sich durch die Ratifizierung gleich mehrerer internationaler Abkommen dazu verpflichtet, niemand in ein Land auszuliefern, wo Todesstrafe oder Folter droht. „Und hat nun zweifellos internationales Recht gebrochen“, so Anna Widenmark. Obwohl Menschenrechtsorganisationen in Bezug auf Ägypten seit Jahren systematischen Gebrauch von Folter in den dortigen Gefängnissen melden, erfolgte die Abschiebung von Agiza und al-Zery ohne dass man irgendwelche Rechtsgarantien seitens Kairo gefordert hätte.

„Die Maschine ist länger an die US-Regierung vermietet“

Erst Wochen später, als es erste Proteste wegen der Ausweisung gab, ließ man sich von der ägyptischen Regierung den Verzicht auf Folterungen sowie die Durchführung eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens zusichern. Auf das aber sowohl der im Oktober 2003 freigelassene, aber weiterhin unter ägyptischer Polizeiüberwachung stehende al-Zery, wie der mittlerweile wegen angeblicher Al-Qaida-Mitgliedschaft zu lebenslanger Haft verurteilte Agiza bis heute warten. Berichte ans Stockholmer Außenministerium seitens der schwedischen Botschaft in Kairo, welche die Männer immerhin regelmäßig im Gefängnis besuchte, wurden, soweit sie sich mit dem Thema Folterungen befassten, laut „Kalla Fakta“ mit dem Geheimstempel versehen. Erst angesichts des jetzt losgebrochenen Proteststurms hat Stockholm versprochen, Kairo an die gemachten Zusagen zu erinnern.

Und am Freitag erklärte das schwedische Außenministerium, man sei in Kontakt mit Agizas Anwalt, um „die Möglichkeiten eines neuen Prozesses und die Geltendmachung von Verfahrensfehlern“ zu eruieren. Außerdem prüfe man die Möglichkeit einer Petition an den ägyptischen Präsidenten. Mohamed Shafey, Redakteur bei der arabischsprachigen Zeitung Asharq-ul-Awsat in London, zeigte sich schon im Dezember 2001 überzeugt von der Unschuld Agizas, den er als eine „zentrale intellektuelle Gestalt in der ägyptischen politischen Debatte“ charakterisierte: „Er hat es als erster innerhalb der islamischen Dschihad gewagt, sich von den Terrormethoden al-Zawahiris [einer der Führungsgestalten in der Al-Qaida und angeblich enger Vertrauter Ussama Bin Ladens; R. W.] öffentlich zu distanzieren und mit ihm schon 1992 gebrochen.“ Zugriffsaktionen der CIA auf fremden Boden ob mit oder ohne Einwilligung der betroffenen Regierungen sind, wie nicht zuletzt der ehemalige Terrorexperte des Weißen Hauses Richard Clarke in seinem Buch „Gegen alle Feinde“ beschreibt, kein Einzelfall.

Und auch die N379P ist kein unbekannter Jet. Masoud Anwar, Reporter der pakistanischen The News in Karatschi kommt in „Kalla Fakta“ zu Wort und berichtet von Zeugen, welche eine ähnliche Agentenaktion beobachtet hatten, bei der das gleiche Flugzeug zwei Monate vor dem Geschehen auf dem Stockholmer Bromma-Flughafen einen jemenitischen Mann aus Karatschi abholte und festgekettet nach Jordanien ausflog.