: USA halten an Immunität fest
Die Bush-Administration drängt die UNO zu einer erneuten Verlängerung einer völkerrechtswidrigen Immunitätsregel für US-Bürger bei Einsätzen im Ausland
GENF taz ■ Sollen BürgerInnen der USA und anderer Staaten, die dem Internationalen Strafgerichtshof (ISTGH) bislang nicht beigetreten sind, weiterhin Immunität vor diesem Gericht erhalten, auch wenn sie während ihrer Beteiligung an UNO-Missionen Kriegsverbrechen, Akte des Völkermords oder Verbrechen gegen die Menschheit begehen? Ein entsprechender Antrag der Bush-Administration steht am heutigen Montag zum dritten Mal seit Juni 2002 auf der Tagesordnung des UN-Sicherheitsrats.
Die zunächst bereits für letzten Freitag anberaumte Beratung war auf Ersuchen Chinas kurzfristig verschoben worden. Beobachter rechnen damit, dass der Antrag der USA bei der für heute Abend angesetzten Abstimmung trotz seiner offensichtlichen Völkerrechtswidrigkeit angenommen wird – wenn auch wahrscheinlich mit weniger Jastimmen als in den beiden Vorjahren.
Ein eindeutiger Verstoß gegen die UNO-Charta, das Statut des ISTGH und gegen andere völkerrechtliche Bestimmungen – so reagierte die überwältigende Mehrheit der damals 190 UNO-Mitgliedstaaten, als die Bush-Regierung ihren Antrag auf Immunitätsgewährung im Juni 2002 erstmals in den Sicherheitsrat einbrachte. Dennoch konnte die Bush-Administration alle anderen 14 Mitglieder des Rates zu einer Jastimme nötigen – mit der Drohung, andernfalls werde sie die damals gerade anstehende Verlängerung der UNO-Mission in Bosnien sowie Beschlüsse über künftige UN-Missionen durch ihr Veto blockieren. In der mit 15:0 angenommenen Resolution 1422 wurde die Immunität zwar nur als „Ausnahme“ zunächst für ein Jahr ab 1. Juli 2002 gewährt, allerdings mit der Möglichkeit auf Verlängerung um weitere Zwölfmonatsperioden.
Unter Berufung auf diese Klausel setzten die USA im Juni letzten Jahres eine erste Verlängerung der „Ausnahmeregel“ mit 12:0 Stimmen durch. Nur Frankreich, Deutschland und Syrien enthielten sich. Zuvor hatten erneut über 120 Mitglieder der Generalversammlung in einer offenen Debatte des Sicherheitsrats das Anliegen der USA als „völkerrechtswidrig“ zurückgewiesen. UNO-Generalsekretär Kofi Annan äußerte seinerzeit die Sorge, „wenn die Ausnahme zum Dauerzustand“ werde, würden „die Autorität des ISTGH und des Sicherheitsrats sowie die Legitimität von Peacekeeping-Missionen der UNO unterminiert“.
Ihren Antrag auf erneute Verlängerung hatten die USA am Mittwoch eingebracht, verbunden mit der Forderung nach Abstimmung „innerhalb von 48 Stunden“ (also bis Freitag). „Das war der Versuch, diesmal eine breitere Debatte im Rat und unter den Mitgliedern der Generalversammlung zu verhindern“, kritisierte die Internationale Koalition von über 1.000 Nichtregierungsorganisationen zur Förderung des Strafgerichtshofs (CICC) den „überfallartigen Eilantrag“ der Bush-Administration.
Vor Auslaufen der derzeitigen Immunitätsregel am 30. Juni ist formal eine Abstimmung über eine etwaige Verlängerung nicht erforderlich. Das CICC vermutet hinter der Eile Washingtons die Absicht, eine Verlängerung der Immunität im Rat durchzusetzen, bevor die Debatte über die von den USA angestrebte neue Irakresolution der UNO zur Absegnung der zum 30. Juni geplanten Machtübergabe an eine „souveräne Regierung“ in Bagdad in ihre entscheidende Phase tritt. Angesichts der jüngst bekannt gewordenen Folter- und Kriegsverbrechen von US-Soldaten und Zivilbürgern wolle sie „jegliches Restrisiko ausschließen“, dass eine künftige irakische Regierung zunächst den Beitritt ihres Landes zum ISTGH vollzieht und danach US-BürgerInnen an den ISTGH ausliefert.
Inwieweit die mit der Resolution 1422 begründete Immunitätsregel für Beteiligte an von der UNO „etablierte“ oder „autorisierte“ Missionen überhaupt auf den Fall Irak anwendbar ist, ist unter Völkerrechtsexperten strittig. Zwar war der Irakkrieg keine von der UNO „etablierte“ Mission, und es gab für den Krieg weder eine „Autorisierung“ noch eine nachträgliche Billigung durch den Sicherheitsrat. Zu der seit 1. Mai 2002 anhaltenden Besatzung Iraks hat sich der Rat allerdings in bislang vier Resolutionen in einer Form geäußert, die als Billigung interpretiert werden kann. ANDREAS ZUMACH