: berliner szenen Ersehnte Pakete
Nachbarschaftsdienste
Heute Morgen wurde ich vom Türklingeln geweckt. Eine vertraute männliche Stimme rief: „Hallo, wir haben ein Paket für Sie!“ – „Ja, prima“, sagte ich. (Ich warte schon seit Tagen auf die neuen Sexbücher, also auf die Lieferung der Anthologie „Sex – Von Spaß war nie die Rede“, hg. v. Volker Surmann, Satyr Verlag, 12,90 Euro, an dem ganz viele mitgeschrieben haben: Kirsten Fuchs, Uli Hannemann, Eckhart von Hirschhausen. Und ich! )
Und dann sagte die Stimme: „Können Sie mal runterkommen?“ Ich dachte, ich hör nicht richtig, jetzt sind die Angestellten im öffentlichen Dienst schon zu faul zum Treppensteigen. Außerdem kennt mich der Postbote doch, der weiß doch, dass ich ihm immer halbnackt die Tür öffne, wie kann er da von mir verlangen, nach unten zu kommen, wo draußen minus fünf Grad sind. Außerdem hat der Postbote zwei Meter lange Beine, der nimmt eh immer drei Stufen auf einmal, der schafft die drei Stockwerke viel schneller. Und schließlich ist er ein großer, starker Mann und ich eine schwache Frau. Ich sagte: „Nein, das kann ich nicht, ich bin im Pyjama!“
Das stimmte sogar. Der Postbote zögerte kurz, dann sagte er: „Na gut, ich versuch’s mal!“ Ich warf mir den Bademantel über und wartete. Und wartete. Langsam, keuchend, Schritt für Schritt erklomm da jemand die Stufen zur dritten Etage. Was, um Gottes Willen, war denn das für ein Paket? Das konnten doch unmöglich zwanzig läppische Paperbacks sein. Möbellieferung für meinen Mitbewohner? Und dann sah ich den spärlich weißen Haarschopf des Nachbarn aus dem ersten Stock, der da asthmatisch die Treppen erklomm, das Buchpäckchen wie einen Säugling an die Brust gepresst. Oh Gott, war mir das peinlich!!!
LEA STREISAND