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Archiv-Artikel

Jukebox

In aller Vorsicht: Manchmal scheint die Schönheit auf

Das ist die eine Platte, die glücklich macht: „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants.

Von allem hier nur ein bisschen. Ein bisschen Rhythmusmaschine, ein bisschen Gitarre. Etwas Orgel. Spuren von einem Bass. Und darüber die klare Stimme von Alison Statton, die scheinbar nichts ausdrücken will. Aber nach dieser Platte haben sich Bands benannt, in Hamburg die Kolossale Jugend, die noch vor Blumfeld ganz wesentlich zur Schulbildung dort beigetragen haben.

Tatsächlich hat man das bereits damals gewusst, als „Colossal Youth“ erschienen ist, 1980. „Hier kommt etwas, dass prophezeie ich, was man noch in zehn Jahren bedenkenlos mit den Wörtern aus dem Gruppennamen und dem LP-Titel belegen wird: kolossal, gigantisch. jung.“ So jubelte Diedrich Diederichsen in der Sounds, und in der genaueren Beschreibung greift er dann auf ein Wort zurück, das der Satzbaukasten der Popkritik sonst kaum vorrätig hält. Schön. „Die Melodien genial-schön“. Was mehr als zehn Jahre später von Gregor Kessler anlässlich der Wiederveröffentlichung von „Colossal Youth“ 2007 in der taz noch gesteigert wurde, wenn er angesichts der Songs von „entwaffnender Schönheit“ spricht.

Nun sind „schön“ und noch weniger „Schönheit“ Begriffe, mit denen man bei der Beschäftigung mit Popmusik nur so um sich werfen würde. Im Gegenteil hat man sogar eine Scheu davor. An die Schönheit traut man sich nicht wirklich ran, und das hat auch seine Gründe. Da ist beim Rock erst einmal seine Geburt aus dem, ja, doch, Schund heraus, wo die Wohlgefälligkeit gar keinen rechten Platz hat. Und obwohl beim Pop gern Oberflächenphänomene verhandelt werden, geht man der Frage nach dem Schönen doch lieber aus dem Weg. Da ist die Popkritik immer noch der kleine Bruder der Kunstkritik, die als ihr Beitrag zum großen Projekt der Moderne im vergangenen Jahrhundert sich angewöhnt hatte, dem Schönen ganz grundsätzlich zu misstrauen, weil man sich von dem Schönen gar keinen Begriff mehr machen konnte.

Tiefer aber noch, meine ich, wurzelt die Scheu in einem magischen Wissen. Von der Schönheit als „Glanz der Wahrheit“ sprachen die Philosophen des Mittelalters. So was muss man sich erst einmal stellen.

„Colossal Youth“ aber leuchtet einem ganz einfach diesen Weg. Deswegen macht sie glücklich, die Platte.

Heute spielen Young Marble Giants bei „Dancing with Myself“ im HAU. THOMAS MAUCH