: Die Bruchfahrt
Niederflurstraßenbahnen sind praktisch – wenn sie funktionieren. Der Combino von Siemens tut es nicht
AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH
Es gibt noch keinen Verletzten, nicht einmal einen Unfall. Dennoch bahnt sich für die Straßenbahn-Sparte von Siemens ein Desaster an. Ihr Flaggschiff, der Combino, scheint eine Fehlkonstruktion zu sein. Die finanziellen Belastungen für Siemens und für die betroffenen Kommunen sind noch nicht absehbar.
Der Combino ist die meistverkaufte Niederflurstraßenbahn. Er erlaubt an allen Türen den ebenerdigen Einstieg und hat einen vergleichsweise günstigen Stückpreis von 2,2 Millionen Euro. Inzwischen fahren Combinos in 17 Kommunen. In Deutschland kauften Potsdam, Freiburg, Düsseldorf, Augsburg, Erfurt und Nordhausen/Thüringen bei Siemens ein, im Ausland etwa in Basel, Amsterdam, Posen, Melbourne und Hiroschima.
Die Niederflurbauweise ist jetzt Ursache für die Probleme. Die Wagentechnik wurde überwiegend ins Dach integriert, was für die Stabilität der Bahnen eine Belastung darstellt. Außerdem ist unter dem Fahrgastraum kein Platz mehr für Raddrehgestelle, sodass der Combino ein starres Fahrwerk besitzt. Vor allem in Kurven wirken deshalb Kräfte, die Siemens wohl unterschätzt hat. Zugleich überschätzte das Unternehmen die Leistungsfähigkeit seiner neuen Aluminium-Schraubkonstruktion. Bisher waren Wagenchassis aus geschweißtem Stahl üblich.
Zuerst waren kleinere Schäden im badischen Freiburg aufgetreten. Nach Angaben der Badischen Zeitung brach bereits im April 2002 eine Schraubverbindung, im August 2003 traten dann Risse auf. Deshalb verweigerte die Stadt im November die Abnahme weiterer Bahnen. Siemens ließ einen Wagen auseinander bauen, das Ergebnis war schlimmer als befürchtet. Im März empfahl das Unternehmen die Stilllegung aller Combinos mit mehr als 120.000 Kilometer Laufleistung. Bei Unfällen könne die Sicherheit nicht garantiert werden, sagte Siemens.
Ein großer Teil der ausgelieferten rund 450 Combinos liegt deshalb still. Weitere 200 bestellte Fahrzeuge wird Siemens nicht mehr los. Rund 170 Techniker hat Siemens aus verschiedenen Bereichen zusammengezogen, in einer ersten Stufe werden die Combinos untersucht, um festzustellen, welche Fahrzeuge sofort oder nach kleineren Reparaturen wieder fahrtüchtig sind. Später soll eine Generalüberholung aller Wagen folgen.
Die Rheinische Post zitierte letzte Woche aus einem internen Siemens-Bericht, wonach ein Austausch einzelner Baugruppen nicht ausreiche, vielmehr müssten die Wagen neu gebaut werden, nur das Fahrwerk bleibe erhalten. Siemens dementierte den Bericht umgehend. Die Überlegungen gingen in „andere Richtungen“. Die betroffenen Städte müssen nun improvisieren und alle verfügbaren Bahnen zum Einsatz bringen, auch solche, die eingemottet waren oder zum Verkauf standen.
Überall entstehen Zusatzkosten, Kommunalpolitiker fordern Schadenersatz von Siemens. Doch eine Überprüfung der Verträge ergab, dass solche Ansprüche meist ganz oder weitgehend ausgeschlossen wurden. Wie der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) bestätigt, ist der Ausschluss von Schadenersatz bei der Anschaffung von Straßenbahnen „durchaus üblich“. Sonst müssten die Hersteller zu hohe Rückstellungen bilden.
Ganz billig wird die Sache für Siemens trotzdem nicht, denn auf den Konzern kommen Kosten für die Reparatur zu. Hierzu ist Siemens entweder im Rahmen der Gewährleistung verpflichtet oder man hat dies aus Kulanzgründen zugesichert. Teilweise ist den Stadtwerken sogar der Rücktritt vom Vertrag möglich. Siemens müsste die Bahnen dann zurücknehmen und den Kaufpreis auszahlen. Derzeit hat Siemens dafür rund 300 Millionen Euro zurückgelegt. Es ist fraglich, ob die Summe reichen wird. Sollte Siemens alle Züge austauschen, könnte dies nach unbestätigten Berichten bis zu eine Milliarde Euro kosten.
Doch trotz solcher Summen sehen Fachleute den Konzern nicht gefährdet. An den Aktienmärkten dürfte das Thema höchstens für eine begrenzte Zeit eine Rolle spielen, sagt Thomas Hofmann, Analyst bei der Landesbank Rheinland-Pfalz. „Siemens hat 15 Geschäftsbereiche, Combino gehört zu einem davon.“ Der Konzern konnte im April trotz der Straßenbahnverluste eine Verdoppelung seines Quartalgewinns gegenüber dem Vorjahresmonat melden. Zur Zukunft der Siemens-Abteilung Light Rail Vehicles kursieren Vermutungen. Während Siemens noch von einem Combino-Nachfolgemodell spricht, gibt es Indizien für ein Zusammenlegen mit dem entsprechenden Geschäft des Konkurrenten Bombardier.
Ein Ausstieg aus dem Straßenbahngeschäft dürfte aber noch kein Thema sein, sagt Analyst Hofmann. Siemens habe immer einen guten Preis erzielt, wenn es um den Verkauf von Unternehmensteilen ging. Das wäre zurzeit nicht möglich. Ob aber mit Straßenbahnen überhaupt große Gewinne erzielt werden können, ist fraglich. Investitionen sind angesichts der Finanzkrise der Kommunen unwahrscheinlich.MITARBEIT: STEPHAN KOSCH
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