: Music for the masses
Gehört: Dave Gahan im Stadtpark, bewundert von Nostalgikern und hypnotisierend wie eh und je
Po-Wackeln, Vorklatschen, Armwedeln und immer wieder der Mikroständer. Als verlängerter Arm, wenn er am Grasrand der Stadtpark-Bühne entlangstolziert: Singt hier hinein! Als Spazierstock, als Tanzpartner, oder nur um ihn weiträumig um den Kopf kreisen zu lassen und seinen vier Musikern klar zu machen: L‘band c‘est moi!
Dave Gahan, seit 22 Jahren Sänger der englischen Depeche Mode und nun mit seinem ersten Soloalbum Paper Monsters auf Tournee im kleineren Rahmen, ist immer noch ein Poser, der nur zu gerne sein Publikum animiert. „Let me see your hands!“, ruft er in seiner schwarzen, hauchdünnen Weste. Music for the masses. Neugierige Blicke hängen auf ihm, als seine sonore Stimme mit für viele unbekannten Solo-Liedern ertönt. Doch egal, so nah und intim wie im ansteigenden Grün des Stadtparks gab es den 41-jährigen Superstar und dreifachen Vater lange nicht zu sehen. Sein Publikum besteht aus Mittdreißigern in bunten Regenjacken, die „Construction Time Again“ noch auf Vinyl besitzen, und jetzt ihren Jugendhelden bewundern. „DM 1994 USA“ steht auf einer Windjacke. Fans alter Schule, die gerne ihr Handy hoch halten, um den Schulfreunden von einst eine kleine, dröhnende Hörprobe nach Hause zu senden: „Hey, hörst du, ich bin fast bei Depeche Mode!“ Sieben eher „neuere“ DM-Lieder wie „I Feel You“, „Walking In My Shoes“ oder „Personal Jesus“ wird er den Abend über in sein eigenes Material einstreuen.
Entspannt, aber auch arg routiniert ist Gahans Auftritt, der vor einigen Jahren seine Drogensucht überlebt und hinter sich gelassen hat. Nun scheint er beweisen zu wollen, dass es ihm gut geht: „I know it‘s cold, but I take my jacket off, so you can see how beautiful I am!“ Jetzt steht er am Bühnenrand mit nacktem Oberkörper, trainierten Bauchmuskeln, üppigen Tätowierungen, übergroß noch immer sein Ego und zählt „Never Let Me Down Again“ an, das vielleicht beeindruckendste Stadion-Poplied aller Zeiten. Dave Gahan hat den Mikroständer gekreuzt wie einst James Dean, dreht sich derwischgleich im Kreis und bellt sein berühmtes kurzes „Yeah!“ Arme wiegen im Takt, berauscht von seiner Massen-Potenz, schaut er zu. Es folgt ein akustischer Nachschlag mit einem Medley aus „Policy Of Truth“ und „Enjoy The Silence“. Er hat die Bühne nach seinem kurzen 90 Minuten-Auftritt bereits verlassen, da singen die 4.000 Jünger noch nach: „All I ever wanted / all I ever needed / is here in my arms.“
VOLKER PESCHEL