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Archiv-Artikel

Wer möchte denn schon wirklich vorne stehen?

Das Folgende ist absolutes Minderheitenprogramm. Also für Wagemutige. Doch gilt ja: Liebe wird aus Mut gemacht. Man muss sich auch mal trauen. Aufgepasst: Avantgarde. Schlimmes Wort. Macht einsam. Nach neueren geschichtsphilosophischen Erkenntnissen gibt es sie eigentlich gar nicht mehr, aber deswegen hat sie ihren Schrecken längst nicht verloren. Wo Avantgarde drauf steht (oder nur vermutet wird), bleiben die Menschen weg. Was als Wissen leider nicht im Fall Modern Talking angewandt wurde. Hätte man doch bloß mit Beharrlichkeit deren Sonnenbankpop mit Avantgarde labeln müssen. Schon wäre das Problem längst vor den jeweiligen Selbstauflösungen beseitigt gewesen. Das Wort kommt aus der Militärsprache. Die Vorhut. Immer vorneweg. Vorne aber will man nicht sein, denn vorne knallt’s. Was auch ganz leise, recht behutsam passieren kann: Dieser Tage feierte Sven Åke Johansson seinen 60. Geburtstag in den Sophiensælen, und bei dieser Gelegenheit scheuerte er auch einfach so mit einer Plastikdose auf dem Boden herum. Liest sich jetzt vielleicht blöde. Hört sich aber aufregend an. Wenn man wirklich zuhört. Denn Klang ist ein Mysterium und Klang ist Klarheit, beides. Es braucht aber Konzentration, um ihn aus der sonstigen Rundumwahrnehmung herauszuschaben. Wahrscheinlich geht es vor allem darum, was diese Forschungsarbeit in der Musik sogar zur vergnüglichen Sache machen kann. Die übrigens weit mehr Menschen gefällt, als sie selbst wissen. Wenn man etwa Fred-Frith-Platten im Blindtest als feuerländischen Garagenrock vorspielt, finden das eigentlich alle toll. Verschroben, ja. Aber interessant. Und dann kennt der Mann mit der Gitarre noch echte Melodien. Braucht man gar nicht mehr Avantgarde nennen. Ist gesellig. Aber nicht gleich kumpelhaft. Zum Selbstversuch, gleich beim SKIF-Festival in der Kulturbrauerei, wird massiv angeraten.

THOMAS MAUCH