Dialektischer Purzelbaum

betr.: „Einige Wahrheiten sind gleicher als andere“, taz vom 25. 6. 03

In Christian Semlers Artikel heißt es unter anderem: „Orwell, der Moralist, führte einen oft verzweifelten Kampf gegen den intellektuellen Konformismus, vor allem den der Linken.“ Das ist ja auch gar nicht verwunderlich, denn gegen den Konformismus der Rechten zu kämpfen, hielt er sicher sowieso von vornherein für vergeblich.

Konkret kämpfte er aber zum Beispiel auch als Freiwilliger gegen den Faschismus in Spanien und hätte das beinahe mit dem Leben bezahlt. Ken Loach wurde für seinen Film „Land and Freedom“ (einer der vielen Filme, die deutlich besser sind als die Reklame, die für sie gemacht wird) offenbar nicht zuletzt von Orwells autobiografischem Roman „Mein Katalonien“ inspiriert. Das scheint mir bei dieser Gelegenheit noch erwähnenswert. Nicht zuletzt sei auch an die nach wie vor herausragende Orwell-Biografie von Bernard Crick (deutsche Ausgabe bei Suhrkamp) hingewiesen. BERNHARD WAGNER, München

In der taz steht von Christian Semler zu lesen: „War es wirklich Verrat an der eigenen Sache, als Orwell einer Freundin – Celia Kirwan, die bei einer antikommunistischen Propagandaabteilung des britischen Außenministeriums arbeitete – kurz vor seinem Tod eine Liste von 38 prosowjetischen fellow travellers und Aktivisten übergab? … Aus der Übergabe dieser Liste eine Denunziation abzuleiten, ist nichts als Ausdruck zynischen Bewusstseins.“

Ich kenne die Motivation für Orwells Handeln nicht. Aber der dialektische Purzelbaum, den Semler zu deren Interpretation schlägt, setzt große Flexibilität im Denken voraus oder wohl eher Equilibristik. Und wer die nicht beherrscht, verheddert sich schon mal in seinen Gedanken. Dabei kommt dann heraus, dass die antikommunistische Propagandaabteilung, in der die Freundin gearbeitet hat, „keine staatliche Unterdrückungsagentur“ gewesen ist, wie Semler meint. […] RICHARD KELBER, Dortmund