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Archiv-Artikel

„Wer keinen Erfolg hat, ist ein Penner“

Er gilt als Englands Eminem. Aber Mike Skinner alias The Streets möchte lieber derjenige sein, der den Amerikanern HipHop zurückgebracht hat – so wie die Stones es einst mit dem Blues taten. Ein Gespräch über das Ignorieren von Erfolg, die Qualitäten eines Geezers und den Straßenraub in London

INTERVIEWMICHAEL TSCHERNEK

taz: Sie veröffentlichen Ihre Musik unter dem Namen The Streets. Haben Sie sich nach dem Erfolg Ihres Debüts „Original Pirate Material“ überlegt, die Streets auszubauen und in The Avenues oder The Motorways umzubenennen?

Mike Skinner: Nein, es geht immer noch um die Wirklichkeit. Und genau das bedeutet The Streets für mich, Realität.

Auch im Sinne von „Geschichten von der Straße“?

Ja, aber nicht im Sinne von „Geschichten aus dem Ghetto“. Es geht einfach nur um die Straßen des ganz normalen Lebens.

Haben Sie Angst, dass Ihnen mit zunehmendem Wohlstand die einfachen Geschichten von der Straße ausgehen könnten?

Nein, ich empfinde ja immer noch so wie jeder andere.

Sie sind in Birmingham aufgewachsen. Bedienen Sie sich notfalls für Ihre Geschichten bei Ihrer Vergangenheit?

Ich bin ein paar Jahre nach meiner Schulzeit von Birmingham nach London umgezogen. Und viele Dinge, von denen ich berichte, beruhen auf Erfahrungen, die ich in London mache und gemacht habe. Ich stelle mir nur vor, dass sie sich in Birmingham zutragen. Das heißt aber nicht, dass ich alle meine Lebenserfahrungen in Birmingham gesammelt hätte. Tatsächlich habe ich wesentlich mehr in meiner Londoner Zeit erlebt.

Die Leute aus London haben keine besonders hohe Meinung von den Bewohnern Birminghams.

Ja, sie halten uns für dumm.

Was hat sich für Sie seit dem Erscheinen von „Original Pirate Material“ vor zwei Jahren verändert?

Ich bin erfolgreicher als früher, und die Leute betrachten mich auf eine andere Art und Weise. Aber mein ganzes Leben dreht sich um die Musik. Und ganz ehrlich: Dieses Leben, wenn ich zu Hause bin, an meinem Computer sitze und das mache, was ich machen möchte, diese Dinge haben sich überhaupt nicht verändert. Insofern ist mein Leben zumindest überwiegend genauso, wie es schon immer gewesen ist.

Haben Sie sich mit den Einnahmen aus den Verkäufen Ihres Debüts irgendeinen Kindheitstraum erfüllt?

Den Traum habe ich mir bereits mit der Aufnahme des Albums erfüllt. Ein eigenes Album, das dann auch verkauft wird. Darüber hinaus hatte ich keine weiteren Kindheitsträume.

„Original Pirate Material“ ist sogar in den USA verhältnismäßig gut aufgenommen worden. Was ja keineswegs selbstverständlich ist. Immerhin bringen Sie den Amerikanern ja eine sehr britische Form von HipHop zurück.

Ja, so wie die Stones den Blues zurück in die USA gebracht haben. So sehe ich das ganz gern (lacht). Und das war natürlich für alle eine große Überraschung. Ich hätte nie erwartet, dass sie sich dafür interessieren, was ein Kerl in England so treibt.

In den USA hat man Sie als Englands Eminem bezeichnet. Wie stehen Sie dazu?

Nun, sie müssen den Dingen irgendeinen Namen geben. Kategorien werden geschaffen, um den Umgang mit der Welt, die uns umgibt, zu erleichtern. Ich verstehe das nicht notwendigerweise als etwas Schlechtes. Das stört mich nicht weiter. Leute, die sich die Musik anhören, werden die Unterschiede erkennen. Schließlich behauptet ja niemand, dass ich genauso wie Eminem sei. Das Ganze beruht nur auf ein paar wenigen Gemeinsamkeiten.

Die Hautfarbe zum Beispiel.

Ja, und vermutlich die Tatsache, dass wir beide sehr eigenwillig sind.

Sie thematisieren Ihre Hautfarbe nicht in Ihren Texten.

Ja, weil das in England auch keine Rolle spielt. In den USA ist das anders, da befragen sie mich andauernd zu meiner Hautfarbe.

Wie wird Ihre Musik in der schwarzen HipHop-Szene angenommen?

In England ist die HipHop-Szene nicht schwarz oder weiß, sondern einfach alles, es gibt Leute jeder Herkunft. In dieser Szene werde ich akzeptiert. Ich glaube aber nicht, dass ich von der schwarzen amerikanischen HipHop-Szene akzeptiert werde. Aber das liegt wohl vor allem daran, dass sie nur schwarze Amerikaner akzeptieren.

Haben Amerikaner Probleme, Sie zu verstehen?

Nein, ich glaube nicht. Viele kennen natürlich den Slang nicht. Aber die Fans setzen sich offenbar damit auseinander und schätzen gerade den Slang.

Und dann versuchen sie herauszubekommen, was ein „Geezer“ ist.

Ja, all diese Dinge. Das ist komisch.

Ist es aus Ihrer Sicht erstrebenswert, ein „Geezer“ zu sein?

Na ja, Geezer sind eigentlich ganz gewöhnliche Kerle, die eine bestimmte Haltung an den Tag legen. Ich glaube, ich bin auch einer, wenn ich betrunken bin. Geezer sind häufig betrunken. Typischerweise sind die selbstbewusst und frech. Und einige von ihnen können ziemlich gewalttätig werden. Das sind all diese Qualitäten, die mit dem Genuss von Bier in Erscheinung treten.

Also einerseits cool, aber andererseits gewalttätig?

Na ja, Sie kennen ja gewiss Leute, die Bier trinken.

Ja, ich kenne aber auch genug Leute, die mit dem Biertrinken jegliche Coolness verlieren.

Das hängt vermutlich davon ab, wie viel sie trinken. Ich finde, dass mit dem Biertrinken auch das Selbstvertrauen zunimmt.

Beschränkt sich das auf ältere Kerle?

Die Amerikaner denken bei dem Begriff an alte Knacker. Und ich glaube, dass das eine alte Bedeutung des Begriffs ist. Aber heute steht der Begriff einfach nur für Kerle.

Michael Caine wird gern als Geezer bezeichnet. Das gilt vermutlich nicht für seine komödiantische Seite, aber wenn er einen dieser harten Typen, wie in „Get Carter“ spielt.

Genau, das ist ein Geezer. Oder auch die Typen, die in dem Guy-Ritchie-Film „Lock, Stock and Two Smoking Barrels“ (1998) dargestellt werden. Leute, die Schlägereien und Action lieben.

In das Booklet Ihres ersten Albums haben Sie eine ungewöhnliche Danksagung geschrieben: „Thanks to all the girls who dumped me and all the geezers who beat me up or taxed me. You drove me to be so focused.“

Genau so ist es. Sie wissen, dass „taxing“ für Straßenraub steht? Das sind die Jungs, die bei dir abkassieren, weil du ihre Straße passierst. Sie berauben dich, aber sie bezeichnen es als Steuer.

Und Sie waren ein beliebtes Opfer?

Oh ja, in der Ecke von Birmingham, aus der ich stamme, gab es das höchste Aufkommen von Straßenraub in ganz England. Schlimmer als in London.

Heute passiert Ihnen so etwas nicht mehr?

Ich vermeide gewisse Gegenden. Außerdem bin ich inzwischen größer geworden. Die meisten Leute, die so etwas machen, sind ziemlich jung. Das sind Kids, die zwischen dreizehn und achtzehn Jahre alt sind. Wenn sie es heute wirklich bei mir versuchen würden, dann würde ich sie verprügeln. Die meisten hören damit auf, wenn sie achtzehn oder älter sind. Dann merken sie endlich, dass das ein bescheuerter Lebensstil ist.

Sie wohnen zur Zeit in Brixton?

Genau genommen wohne ich jetzt in Stockwell, aber das ist unmittelbar neben Brixton. Die Brixton Academy befindet sich beispielsweise ebenfalls in Stockwell und nicht in Brixton. Und jetzt wohne ich in der Nähe der Brixton Academy.

Ist Stockwell eine bessere Wohngegend?

Es ist ruhiger. Brixton ist sehr unmittelbar, da hängen überall schräge Typen herum, und das kann auf Leute, die sich damit nicht auskennen, eine etwas einschüchternde Wirkung haben. Stockwell ist ähnlich, aber etwas ruhiger.

Ist Brixton eine beliebte Ecke für Straßenräuber?

Ja, aber wie gesagt, wenn du ein bestimmtes Alter erreicht hast, kommst du für diese Kids nicht mehr als Opfer in Frage. Und die Älteren, die groß genug wären, mich auszurauben, die geben sich nicht mehr mit Straßenraub ab. Die rauben Privatwohnungen oder Banken aus. Die hängen nicht mehr auf der Straße herum, um einem Passanten ein paar Pfund abzunehmen.

Wie waren Sie denn damals in dem Alter?

Ich habe mich ganz und gar auf meine Musik konzentriert.

Und deswegen haben alle Mädchen mit Ihnen Schluss gemacht?

Ich war nicht cool genug. Bei den Girls hast du keine Chance, wenn du nicht gerade erfolgreich mit deiner Musik bist. Du bist nur cool, wenn du Erfolg hast. Wenn du keinen Erfolg mit deiner Musik hast, dann bist du nur ein Penner.

Dann dürfte sich Ihre Stellung bei den Frauen inzwischen erheblich verbessert haben.

Ja, ich habe Geld, und ich habe Erfolg. So etwas gefällt den Mädchen, dann bist du plötzlich cool. Mit zunehmendem Alter legen sie außerdem Wert darauf, dass du nicht gewalttätig, sondern gefühlvoll bist. Und das bin ich heute.

Man muss also nicht gewalttätig sein, wenn man ein Geezer sein möchte?

Nein, ich bin frech, wenn ich getrunken habe, aber nicht gewalttätig. Und das steht ebenfalls für einen Geezer. Als Geezer kannst du dir ein paar Frechheiten herausnehmen.

Bekommen Sie inzwischen viele Angebote von Frauen?

Einige, aber ich bin seit zwei Jahren mit meiner Freundin zusammen, und die hätte etwas dagegen, wenn ich mich darauf einlassen würde. Viele Leute in meinem Alter leben mit ihren Freundinnen zusammen. Und ich mach das nicht anders.

Spielt für Leute in Ihrem Alter das britische Klassensystem noch eine Rolle?

Ich glaube, dass heutzutage niemand mehr wirklich einen Gedanken daran verschwendet. Geld bestimmt die neuen Klassen. Mit Geld kannst du dir besorgen, was du willst. Wenn du es hast, stehst du auf der einen Seite, und wenn nicht, dann stehst du auf der anderen.