: Politikseismograf schlägt heftig aus
Die Anzahl der Beschwerden an den Petitionsausschuss ist im Zuge der Sozialreformen deutlich gestiegen
BERLIN taz ■ Die Stimmung im Lande wird schlechter, nimmt man die gestiegene Anzahl der Beschwerden an den Bundestag als Indikator. Im vergangenen Jahr gingen über 15.500 Bitten und Beschwerden an den zuständigen parlamentarischen Ausschuss, den Petitionsausschuss, der gestern in Berlin seinen Jahresbericht vorlegte. Im Vergleich zum Jahre 2002 stieg die Zahl der Eingaben um 12 Prozent. Am beschwerdefreudigsten sind die Menschen in den neuen Bundesländern, angeführt von Brandenburgern und Berlinern.
Am häufigsten schrieben die Bürger gegen die Verhältnisse im Gesundheits- und Sozialbereich an. Über ein Drittel der Klagen betraf dieses Ressort. „Die Zahl der Petitionen in diesem Bereich ist erheblich angestiegen, hauptsächlich wegen der Gesundheitsreform, aber auch wegen der Entwicklung der Renten“, sagte der Vorsitzende des Ausschusses, Karlheinz Guttmacher (FDP). So erhoben die Leute Einspruch gegen erhöhte Beiträge und gekürzte Leistungen. Fast doppelt so viele Klagen wie im Vorjahr verbuchte das Ressort Wirtschaft, unter anderem wegen des Abbaus von Briefkästen.
Offenbar sehen die Bürger den Petitionsausschuss zunehmend als indirekten Weg direkter Demokratie. So erreichten den Ausschuss eine zunehmende Zahl von Massenpetitionen. Die größte mit über 160.000 Unterschriften richtete sich gegen das ungleiche Rentenniveau in Ost und West. Hier konnte der Ausschuss, wie in 30 Prozent der Fälle, nichts tun. Seine Arbeit beschränkt sich darauf zu prüfen, ob Verfahren gesetzesgemäß abgelaufen sind und gegebenenfalls Anregung zur Novellierung eines Gesetzes zu geben. Dringenden Handlungsbedarf sieht das Ausschussmitglied Joseph Philipp Winkler (Grüne) beim Ausländerrecht: „Nach dem Petitionsaufkommen zu urteilen, herrschen unmögliche Zustände in manchen Teilen des Aufenthaltsrechts.“ Er wünsche sich, dass sich da etwas bewege. Nach Artikel 17 des Grundgesetzes hat jedermann das Recht, Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu senden. ANNA LEHMANN