: Hoffnung, dass die Jungs nach Hause kommen
Bush weckt mit Rede vom „Besatzungsende“ Illusionen. Dabei sind im Irak zuerst wohl noch mehr US-Soldaten erforderlich
WASHINGTON taz ■ George W. Bush hat in seiner Amtszeit viele Reden gehalten – vor allem immer dann, wenn es brenzlig wurde im Nahen Osten. In manchen Reden hat er gelogen, in anderen Irak wider einhelligen Expertenrat eine rasch rosige Zukunft prophezeit und in allen die Realitäten verleugnet. Es fällt daher schwer, seiner jüngsten Ansprache vom Montag anders als mit Skepsis zu begegnen. Bislang hatten sich die Dinge trotz vollmundiger Rhetorik stets zum Schlechteren verändert.
Angesichts der dramatischen Situattion im Irak und sinkender Umfragewerte zu Hause hatte man damit gerechnet, dass Bush wenigstens einen Befreiungsschlag wagen würde. Erneut rettete er sich jedoch in Phrasen vom Sieg der Demokratie und historischen Momenten. Und sein Fünf-Punkte-Plan für den Weg zur Machtübergabe in Bagdad und dann weiter zu freien Wahlen enthielt keine neuen Vorstellungen und kündigte auch keinen Kurswechsel an. Vielmehr bleibt eine riesige Kluft zwischen der Vielzahl ungelöster Fragen und den wenigen Antworten. Völlig unklar ist, wie das Überleben der neuen Regierung in Bagdad sichergestellt, wie dem Machtkampf der irakischer Fraktionen begegnet und wie der Status ausländischer Truppen im Irak festgelegt sein wird. Um nur einige Schwierigkeiten zu nennen.
Auch schwieg Bush zum drängendsten Problem, der mangelnden Sicherheit, und dem Dilemma, in dem sich die US-Regierung dabei befindet. Alle Experten sind sich einig, dass sich die Situation im Irak noch verschlechtern wird. Selbst Bush hat dies während seiner Rede mehrfach betont. Zusätzliche Soldaten sind erforderlich, doch das jüngste G-8-Treffen in Washington machte deutlich, dass die USA keine internationale Truppenverstärkung erwarten können. Die neuen irakischen Streitkräfte sind nicht in der Lage oder nicht willens, gegen die Aufständischen vorzugehen. Und mehr US-Soldaten würden die antiamerikanische Stimmung im Irak nur noch weiter aufheizen.
Bush war unfähig zu einem klaren Schnitt in seiner Irakpolitik, wie ihn hierzulande sowohl konservative als auch liberale Kommentatoren fordern. Er war unfähig, sich einem der größten außenpolitischen Desaster der USA, den Folterungen von Abu Ghraib, zu stellen. Den Skandal will er nicht durch umfassende Aufklärung zu den Akten legen, sondern durch den Abriss des Gefängnisses. All das hätte vorausgesetzt, dass er Fehler eingesteht – aber eher geht wohl ein Kamel durch ein Nadelöhr. „Mit diesem Charakter von Bush müssen wir wohl leben“, bemerkte die New York Times enttäuscht. „Nicht leben können wir jedoch mit der Haltung, sich bis zum 30. Juni und zu den Wahlen irgendwie durchzuwursteln.“
Doch genau dies steht zu befürchten. Zudem scheint Bush zu glauben, dass die USA mit dem Machttransfer in Bagdad ihre „Regimewechsel“-Schuldigkeit getan hätten und das politische Schicksal fortan in der Hand der Iraker liege. Schon jetzt verkündete er vorab das Ende der Besatzung, obwohl die US-Streitkräfte weiterhin die vollständige militärische Kontrolle behalten werden – ein Trick, mit dem er vor allem das heimische Publikum zu überlisten gedenkt. Für die Iraker mag dieses Angebot von Souveränität wenig glaubhaft klingen, für Amerikaner schimmert hingegen mit dem Wort „Besatzungsende“ die Hoffnung durch, dass ihre Jungs in Uniform bald nach Hause kommen und der Irak für sie nicht zu einem zweiten Vietnam wird.
So stehen in der US-Hauptstadt die Zeichen auf baldigen Rückzug, entgegen allem „Komme-was-da-wolle“-Pathos, den Irak zu einem Leuchtfeuer der Demokratie zu machen. Das Pentagon ist froh, Anarchie und Bürgerkrieg zu vermeiden, und agiert vor Ort längst pragmatisch, indem alten Hussein-Generälen und islamischen Milizen das Feld überlassen wird.
„Die Rede zeigt, wie sehr Bush den Bezug zur Realität verloren hat“, sagt Jessica Mathews von der Denkfabrik Carnegie Endowment for Peace in Washington. Bush stelle sich überhaupt nicht die Frage, ob die US-Präsenz im Irak noch hilfreich oder längst destruktiv sei. Noch deutlicher wurde Anthony Zinni, George W. Bushs ehemaliger Nahost-Beauftragter: „Wir haben es völlig vermasselt.“
Einen Ausweg sieht eine wachsende Zahl von Experten in der Tat nur noch in einer klaren Begrenzung der Okkupationsdauer bis kurz nach den Wahlen Anfang 2005, innerhalb derer jedoch alles unternommen wird, um den Irak zu stabilisieren und demokratisieren.
MICHAEL STRECK