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Archiv-Artikel

Wie die Affen!

Reiche und Mächtige streben genau wie Schimpansen nach Status und sexueller Freiheit, hat der amerikanische Zoologe Richard Conniff in Luxusvillen, Tropenwäldern und Topetagen beobachtet

von VIOLA KEEVE

Der bullige Steve Ballmer springt bei einer Microsoft-Konferenz zu „Get on Your Feet“ auf die Bühne, läuft wild auf und ab und brüllt dabei immer wieder: „Whooo!“ Sein Auftritt als Alphatier von Microsoft geht als Video um die Welt. Am Ende ruft er den Mitarbeitern zu: „I have four words for you. I – love – this – company! Yeehah!“

Magnaten sind wie wilde Tiere, sagt der amerikanische Zoologe Richard Conniff. Sie drohen, lärmen und locken, schmieden Allianzen, horten Besitz für den Clan und verteidigen ihr Revier. Seinen Vergleich von Wohlhabenden und Wilden findet er sehr plausibel: „Ein Großunternehmer handelt als Alphamännchen einer Gruppe nicht anders als ein Schimpanse.“

Für sein Buch „Magnaten und Primaten. Über das Imponiergehabe der Reichen“ – Conniff nennt es eine Feldstudie – hat der US-Wissenschaftler, der auch für National Geographic und das Time Magazine schreibt, die Eigenheiten der Oberen Zehntausend in Aspen, Palm Beach, New York, Ascot und Monaco studiert und erstaunlich-erheiternde Parallelen entdeckt. Paviane im Okawangobecken etwa achten genauso auf das Who’s Who in der Horde wie ein Mailänder Modeexperte, der jeden Morgen die Klatschspalte der Zeitungen nach wichtigen Namen durchblättert. „Vielleicht unterschätzen wir, wie tief im Herzen jedes Primaten das Streben nach Status verwurzelt ist“, schreibt Conniff.

Der Zoologe hat Paviane beobachtet, die sich in der Sonne unter einer Palme von rangniederen Tieren lausen ließen. Als Kokosnüsse herabfielen, bediente sich erst das Alphamännchen, dann die Nummer zwei der Horde, die ein voreiliges Jungtier mit hochgezogener Augenbraue bedrohte. Für die Schmach bedrohte dieses wiederum den Nächstniederen der Gruppe. Biologen nennen das „abgelenkte Aggression“.

Macht muss vor Rivalen und attraktiven Weibchen demonstriert werden, ob nun ein Silberrückengorilla mit einem Konkurrenten um die Wette brüllt, US-Fernsehtycoon Ted Turner eine Milliarde Dollar (ein Drittel seines Vermögens) verschenkt oder sich der zwei Meter große Internetmillionär Henry Nicholas vor der offenen Tür seines schwarzen Lamborghini ablichten lässt (was nichts anderes bedeutet als „Ich bin groß, böse und in Eile!“). All dies sind eindrucksvolle Drohgebärden, wirksamstes Aphrodisiakum. Denn Statussex sichert nicht nur Primatenweibchen das Überleben ihres Nachwuchses.

„Schimpansen sind näher mit uns verwandt als alle anderen Tiere“, sagt auch die Schimpansenexpertin Jane Goodall. Evolutionsgenetiker von der Wayne State University School of Medicine in Detroit haben entdeckt, dass das Erbgut von Mensch und Schimpanse zu 99 Prozent übereinstimmt. Goodall ist überzeugt: „Wenn man all ihre physiologischen, geistigen und emotionalen Ähnlichkeiten mit uns betrachtet, kann man erst erkennen, worin wir uns unterscheiden. Die Schimpansen zeigen uns, was es bedeutet, Mensch zu sein.“

Ihre Überlebenstaktiken sind uns alles andere als fremd: Affen schmieden Allianzen, wies der niederländische Primatenexperte Dr. Frans de Waal, heute Direktor am Yerkes Primate Center of Emory University in Atlanta, vor drei Jahren an Kapuzineraffen nach. Sie kooperieren, um Nahrung zu beschaffen, und teilen ihre Beute. Machtspiele und strategisches Unterordnen gehören genauso dazu. Im Zoo von Arnheim stellte de Waal fest, dass sich das Alphamännchen Luit an der Hand verletzte – und plötzlich alle jungen Affen auf dem Handgelenk herumhumpelten: Schimpansen imitieren hochrangige Artgenossen.

Wer Dominanz ausstrahlt, hat mehr sexuelle Kontakte, bessere Chancen, seine Gene weiterzugeben. Dominanz aber ist keine Charaktereigenschaft, sie muss erarbeitet werden. Der junge, nicht sehr kräftige Schimpanse Mike, den Primatenforscherin Jane Goodall beobachtete, wurde zum Alphatier, weil er besonders dreist und willensstark war. Als er zwei Kerosinkanister laut gegeneinander schlug, folgte ihm die verängstigte Gruppe. Ein Betamännchen wollte seinen Erfolg nachahmen, allerdings vergeblich – mit nur einem Kanister.

Dominanz ist nichts anderes, als mit möglichst wenig Anstrengung zu bekommen, was man möchte. Menschen erkennen sie am entschlossenen Blick, an der aufrechten Haltung, am federnden Gang. Bei Sportlern etwa sinkt der Testosteronspiegel nach einem verpassten Sieg, also nach Statusverlust, sofort, zeigt eine Studie der Syracuse University. Erfolg fördert die Testosteronproduktion, die zu dominantem Verhalten führt – und meist wieder zu Erfolg. Biologen sprechen von einem „Siegereffekt“.

Andere Signale für Überlegenheit sind Kleidung, Familienname, ein großes Haus und einflussreiche Freunde. Wer andere manipulieren, seine Macht zur Schau stellen will, feiert eine glamouröse Party. Verschwenderische Feste, wussten schon die Rothschildbankiers, sind so gut wie eine Bestechung.

Eine VIP-Party ist ein Futterritual: Wer geladen ist, hat die Gewissheit, dazuzugehören. Für Schimpansen ist das Teilen der Nahrung ein Weg, um Ansehen zu gewinnen. Das Schimpansen-Alphamännchen Ntologi wurde in den Mahalebergen von Tansania dabei beobachtet, wie es Weibchen, einflussreiche ältere und rangniedere männliche Tiere einlud, niemals Rivalen. Oft gesellte es sich dazu, ohne selbst zu fressen, was seine Stellung noch steigerte. Die Belohnung für den Gastgeber einer Fressgruppe ist politischer, ökonomischer oder sexueller Natur – bei den Schimpansen wie bei den Rothschilds.

Mutige Selbstdarstellung erhöht wie Geberlaune die Chancen, bei der sexuellen Selektion als Sieger hervorzugehen – je gewagter, desto wirksamer. Frauen wie Jennifer Lopez tragen Kleider, die gegen alle Regeln der Schwerkraft und Anatomie verstoßen, nur mit Klebstoff halten; Männer wie Börsenmakler Steve Fossett aus Chicago umsegeln im Heißluftballon die Welt. Oracle-Softwareboss Larry J. Ellison fliegt einen Kampfjet und liefert sich mit Konkurrenten um die Plätze der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt Jachtrennen. Und männlichen Breitschwanzkolibris genügt nicht, dass ihr Gefieder bunter ist als eine Brosche. Vierzig Sturzflüge pro Stunde führen sie vor, um Weibchen und Rivalen zu beeindrucken. Die Flügel erzeugen dabei einen metallischen Klang – wie die Klingel an einem Kinderfahrrad.

Demonstrative Verschwendung ist ein Ausdruck unseres natürlichen Drangs zum sexuellen Imponiergehabe, so Richard Conniff. Tiere lieben selbst in Gefahr spektakuläre Auftritte: Antilopen vollführen, von hungrigen Geparden verfolgt, statt davonzurennen, akrobatische Luftsprünge, und selbst bescheidene Guppys tanzen vor der Nase ihres Räubers hin und her, bevor sie in die Tiefe schießen. Die Showeffekte zeigen: Ich bin fit, fruchtbar und furchtlos.

Bill Gates posiert über Microsoft-Kartons vor der Kamera gern größer, als er ist, Medienmogul Ted Turner hat auf seinem Schreibtisch gleich zweimal das warnende Schild aufgestellt: „Either lead, follow or get out of the way“. Dominante Menschen starren ihr Gegenüber an, den Blick auf die Beute gerichtet, recken Nase und Kinn vor. Großinvestor und Immobilientycoon Donald Trump lässt sich die Augenbrauen buschig wachsen, weil er findet, dass er damit in Verhandlungen einschüchternder wirkt. Auch in der Tierwelt geht es darum, gefürchtet zu sein. Wer gefürchtet ist, wird seltener in Kämpfe verwickelt.

Beliebtes Mittel, andere abzuschrecken, ist auch die Demonstration von Potenz, der Bau eines siebzigstöckigen Trumphochhauses, der Kauf einer Jacht mit dem längsten Mast der Welt (die Internetmilliardär Jim Clark gehört), oder bei grünen Meerkatzen in Ostafrika das Penisvorzeigen. Sie halten ihr Gemächt anscheinend für besonders fürchterlich. Die Männchen haben einen roten Penis und leuchtend blaue Hoden. Wenn eine Affengruppe frisst, sitzen einige abseits mit gespreizten Beinen. Taucht ein unbekannter Affe auf, bekommen die Wächter eine Erektion – Erregung als Schutz.

Wer in der Tierwelt neu zu einer Gruppe stößt, riskiert oft Misstrauen, Misshandlung und sogar den Tod. Neue Weibchen einer Gruppe Berggorillas in Ruanda wurden von den alten schikaniert: Diese jagten sie, schrien und fletschten die Zähne, einige bekamen kein Futter, wurden nicht trächtig, nie akzeptiert. Sex ist ein Zeichen der Zugehörigkeit, oft sogar reine Geste der Unterwerfung. Ranghöheren zeigen sich Primaten anbiedernd mit dem Hinterteil.

Luftküsschen auf Partys haben eine ähnliche Wirkung. Auf Affen wirken sie beruhigend, sind das Schmiermittel sozialer Beziehungen, schreibt Conniff. Marilyn Monroe verteilte sie ebenso wie Schimpansenfrauen. „Ursprünglich haben sie Dinge aus dem Haar des andern gesucht und dabei ein schmatzendes Lippengeräusch gemacht“, sagt der Zoologe. Die Geste ist ein symbolischer Ersatz für Fellpflege geworden. Die setzt bei Schimpansen Enkephaline und Endorphine frei, natürliche Opiate des Körpers; der Gekraulte gleitet auf einer Welle der Euphorie dahin.

Für Richard Conniff ist es ein und dasselbe, ob ein bekannter New Yorker Architekturkritiker einer reichen Gönnerin in einem Magazin einen guten Wohngeschmack bescheinigt oder ein Pavian mit dem Lippen vorsichtig Dreckkrümel vom Hintern eines dominanten Weibchens klaubt. Krümelablecken und Nach-Parasiten-Suchen stimulieren. Für Primaten zählt es zum wichtigsten sozialen Zeitvertreib, festigt Freundes- und Familienbande und hilft beim sozialen Aufstieg – wie Small Talk und Schmeicheln, Streicheln mit Worten, beim Menschen.

Die Fellpflege ist eine Taktik, die besonders Bonoboweibchen anwenden, um eine bessere soziale Position zu ergattern. Denn auch weibliche Affen streben nach Status, betont die amerikanische Soziobiologin Sarah Blaffer Hrdy in ihrem Buch „Mutter Natur. Die weibliche Seite der Evolution“ – und zwar nicht weniger erfinderisch, opportunistisch und machiavellistisch als männliche. Denn davon hängt ihre Fortpflanzung ab.

Bei den Bonobos sind nämlich sie es, nicht die Männchen, die auf Wanderschaft gehen und sich einer fremden, zuerst feindlich gesinnten Gruppe anschließen. Um sie für sich zu gewinnen, brauchen sie eine sichere Strategie: Ein junges Weibchen sucht zuerst den Kontakt zu zwei erwachsenen Weibchen, denen es das Fell pflegt und die es zu gegenseitigem Genitalienreiben anregt – wildniserprobte Frauennetzwerke eben. So kann sich eine Freundschaft entwickeln, die der Fremden hilft, auch von den übrigen Tieren der Gruppe akzeptiert zu werden. Denn Bobonohorden werden von Weibchen dominiert. Während Schimpansen Allianzen schmieden und sie nutzen, um Status zu gewinnen, setzen die friedlicheren Bonobos auf strategischen Geschlechtsverkehr. Rivalisierende Horden regeln Machtfragen durch Massenkopulationen – Gruppensex statt Kriegszug.

Wer Freund, wer Feind ist, testen Kapuzineraffen spielerisch: Minutenlang legen sie die Hände eines Artgenossen auf ihre Nase und atmen tief ein, um die Beziehung zu erschnuppern. Manchmal stecken sie sogar zwei Finger in seine Nasenlöcher, saugen sich gegenseitig an Ohren, Zehen oder Schwanz oder spielen mit den Fingern im Mund des andern. Das hat in Costa Rica jetzt ein Anthropologenteam um Susan Perry beobachtet. Perry leitet eine Nachwuchsgruppe für kulturelle Phylogenese am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Risikolos ist das Ganze allerdings nicht: Nur bei Affenpaaren mit starker Bindung werden diese Schnüffel-, Lutsch- und Fingertests nicht als lästig empfunden, glauben die Forscher.

Tests dieser Art haben ihren Sinn. Denn der Feind lauert immer auch in der eigenen Gruppe. Rangniedrige Artgenossen stehen stets in den Startlöchern, um den Platz der Alphatiere einzunehmen – bei Magnaten wie Primaten. Auch unter Reichen und Mächtigen gibt es deshalb einen permanten Wettlauf, einen Zwang der Zurschaustellung, schreibt Conniff; dazu gehört auch das symbolische Brusttrommeln im Büro. Das Verhalten von Menschen und Menschenaffen ähnelt sich oft verblüffend, auch wenn die Frau des Bischofs von Worcester fürchtete: „Vom Affen abstammen! Meine Güte, hoffen wir, dass das nicht wahr ist. Und wenn es wahr ist, dann beten wir, dass es nicht allgemein bekannt wird.“

Literatur: Richard Conniff: Magnaten und Primaten. Über das Imponiergehabe der Reichen. Blessing, München 2003, 356 Seiten, 24 Euro. Frans de Waal: Der Affe und der Sushimeister. Das kulturelle Leben der Tiere. Hanser, München/Wien 2002, 352 Seiten, 24,90 Euro. Christophe Boesch, Gottfried Hohmann: Behavioural Diversity of Chimpanzees and Bonobos. Cambridge University Press 2002, 352 Seiten. Dian Fossey, Jane Goodall: Leben für die Affen. Reportagen als Hörbuch, Random House Audio 2002, 19,50 Euro VIOLA KEEVE, 36, lebt als freie Autorin in Köln und hat im Mediendickicht von RTL, Burda und der Gruner+Jahr-Wirtschaftspresse Alphamännchen studiert