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Archiv-Artikel

Sparschwein Zukunft

Die Hamburger Autonomen Jugendwerkstätten bilden Jugendliche aus, die sonst keiner will. Noch. Die vom Senat im Herbst beschlossenen Kürzungen zerstören ein einzigartiges Konzept

von HANNING VOIGTS

Astrid Jaworsky will es nicht wahrhaben: Die 24-Jährige wird im nächsten Sommer wieder auf der Straße stehen. Und ihr wird nichts anderes übrig bleiben, als die erniedrigende Prozedur von Bewerbung und Ablehnung erneut durchzumachen. Im August beginnt Astrid Jaworsky ihr zweites Lehrjahr in der Neuengammer Gärtnerei der Autonomen Jugendwerkstätten (ajw) – ohne Hoffnung auf einen Abschluss, die Gärtnerei wird im nächsten Sommer geschlossen. Dabei haben die ajw ihr die Chance gegeben, die kein herkömmlicher Betrieb ihr geben wollte. „Das Arbeitsklima und der Betrieb sind genau richtig für mich“, schwärmt sie, „hier bin ich respektiert, ich fühle mich gut aufgehoben.“

Seit 20 Jahren bilden die Autonomen Jugendwerkstätten Jugendliche wie Astrid Jaworsky aus, die auf dem freien Markt keinen Ausbildungsplatz bekommen. Viele haben Drogenprobleme, keinen Schulabschluss, saßen schon im Knast. Den ajw gelingt es mit ihrem pädagogischen Konzept, diese Menschen wieder in Lohn und Brot zu bringen. „52 von 90 Jugendlichen haben hier seit 1984 ihre Gesellenprüfung bestanden und haben jetzt alle Arbeit“, erklärt Michael Nieselt, Sozialpädagoge der Gärtnerei, „weil wir uns hier ganz anders um sie kümmern, ohne Druck, mit viel Zeit.“

Die ajw setzen auf kleine Betriebe und eine individuelle Förderung. In jeder Werkstatt arbeitet neben dem Meister und dem Gesellen ein Sozialpädagoge wie Nieselt. Außerdem wird der Lernstoff aus der Berufsschule wiederholt und vertieft.

Keine Chance auf dem freien Lehrstellenmarkt

Den im Herbst vom Schwarz-Schill-Senat beschlossenen Kürzungen wird dieses Prinzip genauso zum Opfer fallen wie die kleine Gärtnerei. Astrid Jaworsky und andere Jugendliche sehen dann einer dunklen Zukunft entgegen. „Unsere Zielgruppe hat auf dem freien Markt keine Chance“, sagt Insa Harms. „Die Jugendlichen werden wieder arbeitslos.“ Für die Leiterin der Gärtnerei sind die Kürzungen deshalb schlicht „hanebüchener Blödsinn“.

Die Gärtnerei umfasst ein Haus mit Gemeinschaftsküche, eine Streuobstwiese, Gewächshäuser, Blumenbeete und einen kleinen Teich. Wehmütig führen Harms und Nieselt über das Gelände, das nun bald nicht mehr ihr Arbeitsplatz sein wird. „Wir haben hier so viel investiert“ –Insa Harms kann es noch immer nicht recht fassen.

Die Frauentischlerei in Eidelstedt ist kaum besser dran: Sie wird zwar nicht geschlossen, aber auch hier geht alles verloren, worauf sich der Erfolg der ajw gründet. „Unser bundesweit einzigartiges Projekt einer reinen Frauentischlerei wird zerstört“, klagt Sozialarbeiterin Heike Wölfert, „wir müssen die (männlichen) Lehrlinge der ajw-Tischlerei in Eimsbüttel übernehmen.“ Denn auch die muss dichtgemacht werden.

Bisher war hier die Förderung, die Wölfert anbieten konnte, umfassend. Es blieb immer auch Zeit für Probleme, um die sich kein normaler Betrieb kümmern kann: Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit müssen oft erst erlernt werden, auch bei Schuldenfragen, Wohnungssuche und Behördengängen waren die Mädchen nicht allein.

„Wir konnten wirklich etwas erreichen“

„Durch die Betreuung vor Ort hatten wir unsere Schützlinge drei Jahre lang acht Stunden am Tag bei uns und konnten wirklich etwas erreichen“, schwärmt Gisela Wald, pädagogische Leiterin der ajw, „die kleinen Erfolge haben unsere Arbeit sehr befriedigend gemacht.“ Jetzt befürchtet sie, dass ihre Hilfe durch die viel größere Anzahl an Betreuten zu einer Beratung nach Sprechzeiten verkommt. „Hier werden mühsam aufgebaute Strukturen zerstört“, sagt sie, „die nicht einfach so wieder repariert werden können.“

Alexander Luckow, Sprecher der Bildungsbehörde, kann die ganze Aufregung nicht recht verstehen. „Die Berufsförderung ist in Hamburg auch jetzt noch gut“, wiegelt er ab. Nur die Zeiten der sozialdemokratischen Üppigkeit seien halt vorbei; diese Maßnahmen kämen jetzt alle auf den Prüfstand. Luckow lapidar: „Sparen tut halt weh.“