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Archiv-Artikel

Der stolze Hauptmann

Vor 90 Jahren ließ der Offizier Waldemar Pabst Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermorden. Klaus Gietinger hat folgenreich das Netzwerk seiner Macht erforscht

VON UWE SOUKUP

Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hat, auch wenn er nunmehr 90 Jahre zurückliegt, etwas Rätselhaftes, Unaufgeklärtes, Nebulöses. Auch darum bleibt er aktuell und bringt alljährlich, anlässlich des Todestages, Menschenmassen auf die Straße. Zu weitreichend ist auch die historische Wirkung dieses in der Geschichte des 20. Jahrhunderts folgenreichen Verbrechens. Und zu erschütternd sind die Tatumstände selbst.

Rosa Luxemburg wurde, von Schlägen mit einem Gewehrkolben bereits schwer verletzt, in ein mit mehreren Offizieren besetztes Auto verfrachtet; ein weiterer Offizier sprang auf das Trittbrett, zog seine Waffe und drückte ab. Danach warf man ihren Leichnam in den Landwehrkanal und lancierte die Falschmeldung, eine Menschenmasse habe Rosa Luxemburg den Offizieren entrissen und getötet.

Fast noch widerwärtiger sah der Plan für den Mord an Karl Liebknecht aus. Man gab vor, ihn ins Moabiter Gefängnis zu überführen, fingierte im Tiergarten eine Autopanne, ging zu Fuß weiter, löste den festen Griff, in dem Liebknecht sich befand, und gaukelte ihm für Sekunden die Möglichkeit zur Flucht vor. Im selben Moment schossen vier Offiziere Liebknecht in den Rücken.

Der Frankfurter Soziologe, Drehbuchautor und Regisseur Klaus Gietinger erforscht seit 20 Jahren die Hintergründe der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Dabei ist ihm die offensichtliche Nähe des die Morde an Luxemburg und Liebknecht befehlenden Hauptmanns Waldemar Pabst und dem für das Militärwesen zuständigen Mitglied des Rats der Volksbeauftragten, Gustav Noske (SPD), ins Auge gefallen. Diese Nähe zu dokumentieren, vor allem die Kooperation beider in der Mordnacht im Januar 1919, ist mehr als Kriminalistik – es wird die Geschichtsschreibung verändern.

Mit diesem Doppelmord endete nicht nur der „kommunistische“ oder „spartakistische“ Aufstand der Jahreswende 1918/1919, der zum Teil von der provisorischen Staatsmacht provoziert, aber eben auch eine spontane zweite Revolution sozialdemokratisch sozialisierter Massen war. Diese waren mit der antirevolutionären Politik ihrer Parteiführung unzufrieden: Immerhin war es ihre Friedensrevolution vom 9. November 1918, die die SPD unverhofft an die Macht gespült hatte.

Die SPD/USPD-Revolutionsregierung unter Friedrich Ebert verlor schon nach wenigen Wochen die notwendige Basis, da sie sich den militärischen Resten des Kaiserreichs an den Hals warf. Dafür steht, nicht nur symbolisch, die enge Zusammenarbeit zwischen Gustav Noske und Waldemar Pabst. Aber so wurde nicht nur die genuin sozialdemokratische Revolution im Blut ertränkt: Ohne Basis und im Bündnis mit den Militärs konnte auch aus der bürgerlichen Republik, die der SPD vorschwebte, nichts werden. Die Weimarer Republik war von Beginn an im harten Griff der Rechten, die sich auch nicht zu schade war, ihre sozialdemokratischen Retter und Förderer so bald wie möglich zu verleumden und zu bekämpfen. So hatte die Republik nie eine Chance. Der Rest ist bekannt.

Sebastian Haffner hat dieses komplizierte Wirkungsgeflecht vor vierzig Jahren verständlich, aber nicht vereinfachend, in seinem ebenso geliebten wie gehassten Buch über die deutsche Revolution 1918 erklärt. Klaus Gietinger hat für seine Waldemar-Pabst-Biografie in mühevoller Kleinarbeit die frappierenden Details dieser Dynamik recherchiert. Verzweifelt fragt man sich, wie die damalige SPD-Führung so dumm sein konnte, sich mit den im Krieg geschlagenen Militärs einzulassen. Die Antwort ist einfach: Sie hatte sich – gegen alle Grundsätze – 1914 für eine Unterstützung der kaiserlichen Kriegspolitik entschieden, man saß mit im Kanonenboot.

Nach der Revolution im November 1918 war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Burgfriedensozialisten von der Parteibasis zur Rechenschaft gezogen würden. An der Kriegsfrage war ja 1917 die Einheit der Partei und damit die Einheit der Arbeiterbewegung zerbrochen. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht besiegelte diese Spaltung – auf ewig.

Wohl selten haben die – nicht immer einsamen – Entscheidungen eines Einzelnen so weitreichende Folgen wie die des kleinen Hauptmannes Waldemar Pabst. Dieses Leben liest sich wie ein überdimensioniertes historisches Sündenkonto: Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Organisierung des konterrevolutionären Bürgerkriegs ab Dezember 1918, Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, der vergessene Bürgerkrieg 1919, der Tausende das Leben kostete (mit Noskes Billigung, der ihm einen völkerrechtswidrigen Schießbefehl in die Hand gab).

Im Sommer 1919 unternahm Pabst einen ersten Putschversuch, 1920 war er in den Kapp-Putsch verwickelt. Danach flüchtete er und verlegte seine Aktivitäten nach Österreich, wo er eine faschistische „Heimwehr“ aufbaute, die gleichzeitig von der Großindustrie, Benito Mussolini und dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann finanziert wurde. Im Krieg war Pabst Wehrwirtschaftsführer der Nazis, der, unterstützt von Schweizer Behörden, Rüstungsgüter für den Ostkrieg importierte, bis er schließlich dem ersten (Theodor Blank) und zweiten (Franz Josef Strauss) bundesdeutschen Verteidigungsminister unter die Arme griff und mit ihnen Waffengeschäfte machte.

Eine fürwahr konterrevolutionäre Karriere.

Klaus Gietinger: „Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere“. Nautilus Verlag, Hamburg 2008, 544 Seiten, 39,90 Euro