Ein Land löst sich auf

Der Friedensprozess für Südsudan war ein Auslöser des Krieges in Darfur, denken manche Politiker in Sudans Hauptstadt

AUS KHARTUM ILONA EVELEENS

Der Krieg im Südsudan mit zwei Millionen Toten und fünf Millionen Flüchtlingen dauert seit Jahrzehnten, der Konflikt in Darfur hingegen mit geschätzt 10.000 Toten und 1,3 Millionen Vertriebenen ist etwas über ein Jahr alt. Trotzdem hat der Krieg in Darfur weit mehr Einfluss auf das Leben in Khartum als der im Süden.

Rund zwei Millionen Menschen aus der Region im Westen des Landes leben in der sudanesischen Hauptstadt. Die Einwohner fühlen sich nicht sicher, weil auch 80 Prozent der Soldaten von Sudans Armee aus Darfur kommen. Man fürchtet in Khartum, dass durch sie auch der Krieg in die Stadt kommen könnte. In der politischen Elite herrscht die Sorge vor, dass der Regierung das Geschehen in Darfur längst entglitten ist. „Die Regierung hat die Milizen in Darfur bewaffnet, aber sie hat sie nicht mehr unter Kontrolle“, sagt ein Präsidentenberater. Ein Diplomat erklärt: „Darfur ist der Regierung ins Gesicht geplatzt. Sie glaubte, dass die internationale Gemeinschaft mit Irak und den Südsudan-Gesprächen beschäftigt ist und nicht auf Darfur schauen würde.“

Im kenianischen Naivasha sollten Sudans Regierung und Südsudans Rebellenbewegung SPLA (Sudan’s People Liberation Army) gestern Nachmittag die letzten einer Serie von Teilabkommen unterzeichnen, die einen umfassenden Friedensvertrag ermöglichen. Seit 2002 haben die beiden Seiten über eine Friedensregelung verhandelt, die dem Südsudan sechs Jahre Autonomie unter SPLA-Herrschaft zugesteht, bevor die Region über eine mögliche Unabhängigkeit abstimmen darf. Während dieser sechs Jahre regieren die beiden Kriegsgegner in Khartum gemeinsam. Große Begeisterung darüber herrscht in Khartum nicht. „Es ist kein guter Frieden“, findet Mohammed Haschim Awad, Ökonomieprofessor an der Universität von Khartum. „Im Süden werden die verschiedenen Stämme einander die Köpfe einschlagen. Im Norden gibt es keinen Fortschritt, weil die kleine Regierungsclique weitermacht und stiehlt.“

Der Professor betet regelmäßig für Frieden, „aber dieses Abkommen reicht nicht“, findet er. „Nicht alle unterschiedlichen nationalen Meinungen sind darin aufgenommen.“ Denn bei den Friedensgesprächen in Kenia ging es nur um Südsudan, nicht um andere Landesteile – wie eben Darfur. Viele Politiker sind überzeugt davon, dass erst die Aussicht auf Autonomie für den Süden die Rebellion in Darfur ermutigte.

„Ich vermute, der Friedensvertrag ist der Anfang vom Zerfall des Sudan“, meint Ali Mahmud Hasenien, Vizevorsitzender der Oppositionspartei DUP (Demokratische Unionistenpartei). „Wenn in sechs Jahren eine Volksabstimmung im Süden stattfindet, werden die Leute sicher die Unabhängigkeit wählen. Andere regionale Rebellen wie die in Darfur folgen bestimmt dem Beispiel der SPLA.“

Für Hasenien ist der Zusammenhang klar: 2002 begannen die Friedensverhandlungen zwischen SPLA und Regierung – kein Jahr später organisierten sich die Rebellen in Darfur. „Sie beschuldigen genau wie die SPLA die Regierung der Marginalisierung und fordern größere Autonomie. Darfur folgt dem Beispiel des Südens.“

Selbst innerhalb des Nationalen Kongresses, der Regierungspartei, herrscht Unzufriedenheit über den Friedensvertrag. „Vizepräsident Ali Osman Taha [Chefunterhändler der Regierung, d. Red.] hat sich von SPLA und USA über den Tisch ziehen lassen“, meint ein wichtiger Politiker der Regierungspartei, der anonym bleiben will. „Er hat zu viele Konzessionen gemacht und nichts dafür bekommen. Ich würde mich nicht wundern, wenn eines Tages der Süden den Norden beherrscht und SPLA-Führer John Garang der nationale Führer sein wird.“ Das wäre für die Nordsudanesen ein Albtraum.

Der letzte demokratisch gewählte Präsident des Sudan war Sadik al-Mahdi, Urenkel des berühmten antikolonialen Rebellenführers vom Ende des 19. Jahrhunderts. 1989 wurde al-Mahdi vom heutigen Präsidenten Omar al-Baschir per Militärputsch gestürzt. Heute ist er 68 Jahre alt und führt noch immer seine konservative Umma-Partei. Er hält den den Friedensvertrag für eine gute Basis – aber eben nur eine Basis. Vor der Ratifizierung, sagte er, sollte eine Nationalkonferenz stattfinden, um auch die anderen Konflikte des Landes zu lösen. „Alle politischen und bewaffneten Akteure müssen mitmachen“, erklärt der Altpolitiker. „Dann können wir ein bilaterales Abkommen in ein nationales umbauen, sodass alle Menschen im Sudan zufrieden sind.“

Davon wäre das Land auch nach einem Friedensschluss mit dem Süden weit entfernt. Letztes Wochenende gab es in Khartum abendliche Razzien auf der Straße. Die Festgenommenen kamen aus Darfur. „Weil viele von unseren Männern in der Armee dienen, hat die Regierung Angst, es könnte zu einem Aufstand kommen“, sagt ein Oppositionsaktivist aus Darfur. Er droht mit einer Ausweitung des Konflikts: „Unser Aufstand wird nicht auf Darfur beschränkt bleiben. Wir werden uns auch auf Khartum richten. Wann und wie, das kann ich nicht verraten, aber wir haben die Möglichkeiten. Wir wollen keine Unabhängigkeit, sondern eine Regierung, die für alle Sudanesen da ist und nicht nur für sich selbst.“