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Archiv-Artikel

Noch eine Geschichte!

Die „Spielscheune der Geschichten“ im Hamburger Stadtteil Neu-Allermöhe möchte den Respekt zwischen Kindern unterschiedlicher Herkunft fördern. Geleitet wird sie vom Bergedorfer Pastor Andreas Kalkowski

„Frieden wächst in den Herzen unserer Kinder“: der Leitsatz steht auch auf Hebräisch und Arabisch an der Wand

VON TINA STADLMAYER

Carlotta klettert den Vulkan hoch. An der Spitze hält sie kurz inne und rutscht dann in rasantem Tempo den Abhang hinunter. „Dieser Berg ist das Beste an der Spielscheune“, erzählt sie, noch ganz außer Atem. Der Vulkan ist zwar nur aus Plastik, aber mehr als sechs Meter hoch und ziemlich steil.

Seit drei Monaten gibt es die „Spielscheune der Geschichten“ in Neu-Allermöhe, einem Stadtteil ganz im Osten von Hamburg. Sie wird vom „Verein für Kinder- und Jugendförderung in Neu-Allermöhe“ getragen, und das merkt man. Was in der Spielscheune geschieht, geht über das Angebot eines normalen Indoor-Spielplatzes weit hinaus.

Carlotta feiert mit ihren Freundinnen ihren siebten Geburtstag. In einem Zirkuszelt stehen Tische und Bänke, dort gibt es Getränke und Kuchen für die Geburtstagsgesellschaft. Doch dafür haben die Kinder kaum Zeit. Sie rutschen lieber oder springen auf der „Wolkenburg“ herum, einer Hüpfburg mit erhöhtem Mittelteil, von der man prima runterplumpsen kann, ohne sich weh zu tun.

Plötzlich kommt eine seltsam gewandete Frau in die Halle und schlägt einen Gong. Sie trägt ein glitzerndes Tuch im Haar, weiße Pumphosen und eine orangefarbene Weste. Die Kinder stürmen auf sie zu. „Geht es jetzt los?“ Geschichtenerzählerin Ulla Moser zieht mit einem guten Dutzend Jungen und Mädchen im Schlepptau nach nebenan in den „Saal der Geschichten“. Sie lassen sich auf einem orientalischen Teppich nieder, die Kinder rücken ganz nah an die Erzählerin heran. „Heute habe ich für euch eine Geschichte aus England, einer Insel ganz weit weg“, sagt Ulla Moser.

Das Märchen „Die Steinsuppe“ handelt davon, dass alle profitieren, wenn sie etwas gemeinsam tun. „Noch eine Geschichte!“, verlangen die Kinder, als es vorbei ist. Und Ulla Moser erzählt noch eine und dann noch eine. Oft macht sie mit den Kindern im Anschluss an die Erzählung ein Spiel, das mit der Geschichte zu tun hat. Doch die Geburtstagstruppe ist dazu jetzt schon zu müde.

Der Vater von Carlotta findet den Nachmittag in der Spielscheune rundum gelungen: „Die Kinder können hier nicht nur toben, sie lernen auch etwas. In jeder Geschichte steckt eine Botschaft.“

Ulla Moser und ihr Erzähler-Team suchen am liebsten solche Erzählungen heraus, bei denen das Miteinander im Mittelpunkt steht. Eines der Ziele der Spielscheune ist es, Verständnis für unterschiedliche Religionen und Kulturen zu wecken. Das Team besteht neben der hauptamtlich beschäftigten Erzählerin aus zwei Schülerinnen und fünf Erwachsenen, die ein kleines Honorar für ihre Arbeit bekommen.

Jeden Nachmittag um 15.30 Uhr und um 18 Uhr ist Erzähl-Zeit. „Die Kinder sind mit Haut und Haaren dabei“, berichtet der Leiter der „Spielscheune der Geschichten“, der Bergedorfer Pastor Andreas Kalkowski. Die Kinder fürchteten sich, wenn es gruselig sei, sie ärgerten sich, wenn es ungerecht zugehe, und sie freuten sich, wenn es ein Happy-End gebe. Nur in wenigen Familien sei es heute noch üblich, dass Geschichten erzählt würden, sagt Kalkowski. Die Spielscheune fülle diese Lücke.

„Frieden wächst in den Herzen unserer Kinder“, lautet der Leitsatz der Spielscheune. Im „Saal der Geschichten“ steht er nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Hebräisch und Arabisch an der Wand. Im Saal finden auch Diskussionsabende statt, zu denen Jugendliche und Erwachsene kommen. Vor einer Woche berichteten ein Diakon und ein Islamwissenschaftler über ihre Besuche im Gazastreifen. Anschließend gab es eine lebhafte Diskussion über den Gaza-Krieg. Eine Familie aus Gaza, eine Kurdin und eine Syrerin waren dabei. „Das war ein sehr langes, sehr offenes und sehr kontroverses Gespräch“, berichtet Kalkowski.

Seit dreizehn Jahren ist Kalkowski Pastor der Evangelischen Kirchengemeinde Bergedorfer Marschen. Gleich nach seinem Amtsantritt rief er den „Verein für Kinder- und Jugendförderung in Neu-Allermöhe“ ins Leben. Auch die Spielscheune war Kalkowskis Idee. 560.000 Euro steuerten die Bauträger bei, die in Neu-Allermöhe in den 1990er Jahren Wohnungen für 10.000 Menschen errichtet hatten. Kalkowski und sein Team suchten weitere Sponsoren, insgesamt sammelten sie eine Million Euro ein.

Vier feste Mitarbeiter und zahlreiche Ehrenamtliche sind in der Spielscheune beschäftigt. Der laufende Betrieb muss sich selbst tragen, deshalb kostet der Eintritt für Kinder 5,90 Euro. Erwachsene zahlen 2,50 Euro. Kinder aus Neu-Allermöhe können eine Zehnerkarte für 15 Euro kaufen. Wenn die Eltern wenig Einkommen haben, dürfen sie kostenlos in die Spielscheune.

Neu-Allermöhe ist der jüngste und kinderreichste Stadtteil Hamburgs. Pastor Kalkowski nennt den Stadtteil „ein globales Dorf, in dem viele Sprachen gesprochen und viele Religionen gelebt werden“. Er wolle, sagt Kalkowski, die „village people“ zu gemeinsamen Aktivitäten in die Spielscheune locken. Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft sollen lernen, respektvoll miteinander umzugehen. Geschichtenerzählerin Ulla Moser berichtet, dass das Miteinander der Kulturen in der Spielscheune gut funktioniert: Jeden Samstagabend komme zum Beispiel eine arabische Familie: „Sie bringen ihr Essen mit und gehören ganz selbstverständlich dazu.“

In der Spielscheune gibt es auch eine Krabbelgruppe, einen Jugendclub und einen Filmclub. Im Februar bietet die Scheune eine Faschingsparty mit Übernachtung an, im März einen Malkurs für Kinder und einen Kurs „Geschichten erzählen“. Wenn sich Schulklassen anmelden, können sie sich aussuchen, welche Geschichten und Aktionen sie erleben wollen.

Erwachsene und Jugendliche, die ehrenamtlich in der Spielscheune mitarbeiten wollen, seien herzlich willkommen, sagt Pastor Kalkowski.

Die Spielscheune der Geschichten am Marie-Henning-Weg 1 in Neu-Allermöhe ist an Werktagen von 9 bis 19 Uhr geöffnet, an Wochenenden und in den Ferien von 10 bis 19 Uhr. Das aktuelle Programm gibt es auf der Website: www. spielscheune-der-geschichten.de