: Mit entsetzlicher Opulenz
Wie ehrliche Statistiker und engagierte AnwohnerInnen das „Viertel“ retteten: Senatsrat Herbert Wulfekuhl über die Verhinderung der „Mozarttrasse“ vor 35 Jahren und den Wachstumswahn heutiger Straßenbau- und Brückenplanungen
Herbert Wulfekuhl (SPD) war Mitglied des „Arbeitskreis Ostertorsanierung“ (AKO) und seit 1972 Ortsamtsleiter Mitte / Östliche Vorstadt. Heute leitet er die Landeszentrale für Politische Bildung. Der oben stehende Text ist ein Auszug aus Wulfekuhls Dankesrede bei der Verleihung der „Bremer Auszeichnung für Baukultur“ an den AKO
Die Mitglieder des Arbeitskreises Ostertorsanierung (AKO) fühlen sich ganz überwiegend durchaus geehrt, dass das Bremer Zentrum für Baukultur zu der Auffassung gelangt ist, die Rettung des Ostertorviertels vor der Mozarttrasse im Dezember 1973 sei die Bremer Auszeichnung für Baukultur wert. Als ehrliche Menschen können wir Ihnen bestätigen, Sie haben eine gute Wahl getroffen! Schließlich waren die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort, eine seltene Konstellation.
Nun wären wir nicht der AKO, wenn wir nicht vor der Entgegennahme des Preises noch einige Anmerkungen zu den damaligen Vorgängen und zur heutigen Lage vorzutragen hätten. (...) Lassen Sie mich etwas zu der Kernfrage beisteuern, unter welchen Rahmenbedingungen unser Kampf gegen die Mozarttrasse stattfand, den man heute neudeutsch als Mission Impossible, als eigentlich unmöglichen Auftrag charakterisieren würde.
Ich nehme dafür als Ausgangsdatum das Wahlergebnis zur Bürgerschaft vom 10.10.1971: Vier Jahre nach dem für damalige bremische Verhältnisse grottenschlechten Ergebnis von 1967 mit 45,23 Prozent (Stichwort Baulandskandal – also wir bleiben im Thema!) stieg die SPD mit Hans Koschnick als Spitzenkandidat wie Phönix aus der Asche und erzielte 55,2 Prozent der Stimmen, sagenhaft! Damit fiel in Bremen Macht und Rechtsetzung wieder in die Hand einer Partei, die sich naheliegend als die Bremen-Partei begriff, die alles richtig macht.
So kann es nicht verwundern, dass Bausenator Stefan Seifriz sich nach der Wahl daran machte, als nächstes Großprojekt mit Hilfe des Städtebauförderungsgesetzes die so genannte Osttangente zu bauen, vulgo Mozarttrasse genannt nach der Mozartstraße, die in ihrem Verlauf lag. Ganz im Sinne der damaligen Zukunfts- und Wachstumseuphorie glaubte man an den eigenen Flächennutzungsplan für Bremen, der 1967 für 800.000 Einwohner ausgelegt war, verbunden mit dem Traum, später eine Stadt mit einer Million Einwohnern zu werden.
Die Bürgerschaftswahl 1971 brachte aber ein Derivat hervor, das sich als scharf geschliffenes Schwert erweisen sollte: Die innerstädtischen Stadtteile erhielten Beiräte und ein Amt für Beiratsangelegenheiten, heute Ortsamt genannt. Das konnten wir zur Herstellung von Öffentlichkeit nutzen, die monatlichen Sitzungen des Beirats Mitte jeweils am ersten Montag im Monat machten Schlagzeilen. Der kleine David hatte plötzlich eine Schleuder in der Hand, mit der er die Verwaltung empfindlich treffen konnte. (...)
Dann begann das Jahr 1973 mit einem Paukenschlag. Aufgrund der unbestreitbaren Daten des Statistischen Landesamtes brach die Einwohnerzielzahl 800.000 regelrecht zusammen und wurde Ende Januar von der SPD-Bürgerschaftsfraktion, der politischen Gegenmacht zum Senat, auf 600.000 herabgesetzt, ein schwerer Schlag für das Argument, der Verkehr in der wachsenden Stadt Bremen werde ohne Mozarttrasse zusammenbrechen.
Es stimmt, der AKO bemühte sich anfangs, wenigstens nur das Schlimmste zu verhindern. Wir schlugen vor, die Trasse sozusagen durch Überbauung einer schlank gehaltenen Hochstraße durch das Viertel quasi zu verstecken – genannt Aktivitätsachse. Vorbild war damals die überbaute Stadtautobahn in Berlin-Wilmersdorf. Die Betroffenen selbst konfrontierten uns in der berühmten Einwohnerversammlung im Chorprobensaal des Theaters mit der konsequenten Alternative, dem Nein zur Trasse überhaupt. Das Ruder wurde herumgerissen, was uns in der Bremer SPD nicht gerade beliebter machte! Ja, wir waren anti-kapitalistisch, anti-karrieristisch, anti-hierarchisch, das bedeutete undogmatisch und für Parteistrategen unberechenbar. (...)
Wir hatten damals eine klare Vorstellung davon, wie Kommunalpolitik für die Bevölkerung zu machen sei: im Wege der Doppelstrategie die Interessen des Volkes aufnehmen und diese beim Marsch durch die Institutionen durchsetzen. Wir verfügten über ein ausgearbeitetes Verkehrskonzept für Bremen, das dem Öffentlichen Nahverkehr eindeutig Priorität vor dem Individualverkehr einräumte.
Wir erfuhren auch diskret wachsende Unterstützung aus den Fachverwaltungen. Den SPD-Ortsvereinen links der Weser, namentlich Neustadt, Buntentor und Kattenturm, dämmerte rechtzeitig, dass die Trasse mit Hilfe einer neuen Brücke über die Weser ihren Weg quer durch die dortigen Wohngebiete zur Autobahn nach Hamburg und Osnabrück nehmen sollte. So kamen Bündnisse zustande, die im damaligen Links-Rechts-Schema der SPD kaum vorstellbar schienen.
Dann kam auch noch die erste Ölpreiskrise mit autofreien Sonntagen wenige Wochen vor der Entscheidung. Der Fetisch Auto bekam einen schweren Kratzer. Der Club of Rome schien mit seiner zutiefst pessimistischen Studie von den Grenzen des Wachstums Recht zu behalten, das war eine Steilvorlage im Streit um die richtige Wirtschafts- und Verkehrspolitik. So konnte der Boden vorbereitet werden für die Entscheidungsschlacht vom 4. und 5. Dezember 1973. Die Abläufe an diesen beiden Tagen und der Nacht dazwischen wären eine eigene Veranstaltung wert! (...)
Herr Senator Dr. Loske, wenn Sie heute den damaligen AKO zum Gegner hätten, würden Sie nicht so entspannt hier sitzen und auch nicht so gut schlafen können. Wenn ich mir die Straßenbauwerke links der Weser zwischen Flughafen und Niedervieland anschaue, bin ich schon ziemlich entsetzt über die Opulenz, mit der in den letzten Jahren in Bremen Straßenbau betrieben wurde und offensichtlich noch weiter betrieben werden soll – für welches Wachstum eigentlich?
Wenn ich mir vergegenwärtige, was die Deutsche Bahn als neue Brücke über dem Concordiatunnel installiert hat, sollte das vom Bremer Zentrum für Baukultur vielleicht zum Anlass genommen werden, einen weiteren Preis zu stiften, die Goldene Zitrone für die hässlichsten neuen Bauwerke. Und ob der verbreiterte Concordiatunnel dereinst als spürbarer Beitrag zur Sanierung der bremischen Staatsfinanzen in den Geschichtsbüchern stehen wird, darf füglich bezweifelt werden.
Mit der „Bremer Auszeichnung für Baukultur“ ehrt der Bausenator zusammen mit dem Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) Personen, „die sich durch ihr Engagement für das historische Stadtbild, für die städtebauliche und baukünstlerische Entwicklung und für die Vermittlung baukünstlerischer Werte – insbesondere in Bremen – verdient gemacht haben.“ 2007 wurde der (undotierte) Preis erstmals an Klaus Hübotter für seine Verdienste um die Erhaltung wertvoller Bausubstanz in Bremen verliehen. Die Auszeichnung für den „Arbeitskreis Ostertorsanierung“ (AKO) wurde gestern in der Oberen Rathaushalle verliehen. Das b.zb ehrt damit die Begründung einer „neuen Planungs- und Streitkultur in Bremen“ durch den AKO, die bei städtebaulichen Großprojekten „zunehmend auf frühzeitige Planungspartizipation und Dialogbereitschaft auf allen Seiten“ setze. Diese „Kultur“ sei in späteren Sanierungsbeiräten und insbesondere in der vorparlamentarischen Arbeit der Bremer Stadtteilbeiräte mit Erfolg zur Anwendung gekommen. HB
Selbstkritische Schlussbetrachtung: Ja, wir hatten Erfolg, wir sind bei einem wirklich bedeutenden Abschnitt der bremischen Stadtentwicklungspolitik nach 1945 dabei gewesen. Aber vielleicht haben wir auch ungewollt Politik und Verwaltung in Bremen eine Art Trainingsprogramm verabreicht, welches Schicksal einer staatlichen Planung droht, wenn man sich nicht gut genug vorbereitet und seine Gegner unterschätzt, wer weiß!
Aber eine Lehre für heutigen Widerstand bleibt: Erlaube niemandem, Dir zu sagen, dass Du etwas nicht erreichen kannst!