: Berliner Polizisten und der Todesschuss
Die tödlichen Schüsse eines Berliner Polizisten auf Dennis J. haben unter seinen Kollegen unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Viele aber flüchten sich in Schweigen. Polizeichef Glietsch: Schüsse könnten eine Fehlreaktion gewesen sein
Nach den tödlichen Polizeischüssen in der Silvesternacht im brandenburgischen Schönfließ ist die Stimmung schlecht bei der Berliner Polizei. Vom Polizeipräsidenten über die Gewerkschaften bis hin zu den Beamten sind alle sauer – auf die Medien und deren Berichterstattung. Doch damit erschöpft sich schon die Einigkeit. Sonst nämlich gehen die Reaktionen weit auseinander.
Anfänglich habe sich eigentlich „keiner Gedanken um den Straftäter gemacht“, meint ein Beamter aus dem Landeskriminalamt (LKA). Die ersten Informationen klangen ja eindeutig und schienen zu ihren Berufserfahrungen zu passen. Doch dann kamen immer mehr Details des Einsatzes ans Licht und das Desinteresse wich dem Unglauben: Wie kann so was passieren? Wenn man schieße, sagt der LKA-Mann, sei man doch „erst einmal selbst erschrocken“. Er schüttelt den Kopf: „Dass der nicht zur Besinnung gekommen ist?“
Ein anderer Kriminalbeamter, der selbst einmal als Fahnder tätig war, gibt dem ganzen Einsatz „eine glatte Sechs, und für die Benotung der Schüsse gibt es gar keine Zahl“. Zumal bei acht Schüssen ja einige Sekunden vergehen würden.
Nebenan im Polizeipräsidium sieht es ähnlich aus. Es herrsche zwar keine Hysterie, aber doch „eine gewisse Anspannung“. Natürlich sei der Fall ein Thema, „das keinen kalt lässt“. Aber zu neugierig wolle auch niemand sein, „und dann tröstet man sich mit Regularien wie etwa der Unschuldsvermutung“. Dann wird der Beamte persönlicher: „In der Haut möchte ich nicht stecken. Der Kollege hat doch die komplette Arschkarte.“ Ihre Namen möchten sie alle nicht lesen.
Nicht viel anders sieht es an der Basis aus. Allenfalls klagen die Polizisten darüber, dass ihre Arbeit seither schwieriger geworden sei. Nicht selten würden die Beamten bei ihrem Eintreffen am Einsatzort „regelrecht abgewatscht“. Auch die Schmähung „Na, wollt ihr wieder schießen?“ habe es schon gegeben.
Polizeiintern weht der Wind anders. Im benachbarten Polizeiabschnitt des Todesschützen sei der Fall zunächst „mit Kopfschütteln aufgenommen“ worden. Inzwischen rede man zwar in kleinem Kreis noch darüber, meint jemand, „ansonsten macht jeder sein Ding. Der Abschnitt 25 könnte auch auf dem Mond liegen.“ In ihrem Umfeld werde kaum darüber gesprochen, sagt eine Polizistin in einer anderen Polizeidirektion.
Das gleiche Bild an der Polizeischule. Nicht einmal beim Nachwuchs sorgt der Fall für Gesprächsstoff – „kein Thema“. Aufarbeitung durch Verdrängung oder Trotzreaktion?
Zumindest jene Polizisten und Polizistinnen, die sich intensiver mit der Sache auseinandersetzen, gehen auch mit dem Verhalten der beiden anderen Beamten ins Gericht, die bei dem Festnahmeversuch in Schönfließ dabei waren und die Schüsse wegen der Silvesterknallerei nicht gehört haben wollen. Ein „trockener Knall hört sich anders an als ein Chinaböller“, sagt der Kripo-Beamte vom LKA.
Ein erfahrener Schutzpolizist wird noch deutlicher: „Wer schon mal geschossen hat, erkennt den Unterschied zwischen einem Schuss und einem Knaller, selbst wenn der direkt neben ihm hochgeht.“ Und ein anderer meint, wenn der Polizeipräsident eigens auf Zeugen- und Wahrheitspflichten hinweisen müsse, sei dies „doch verdammt nah am GAU“.
Nach Ansicht von Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch könnte eine Fehlreaktion der eingesetzten Beamten die Ursache für die tödlichen Schüsse im brandenburgischen Schönfließ sein. Die Berliner Polizei habe im Bundesvergleich eine hervorragende Ausbildung, sagte Glietsch. „Aber auch die am besten trainierten Mitarbeiter können in Situationen geraten, in denen sie falsch reagieren. Es kann sein, dass es in Schönfließ zu solchen Fehlreaktionen gekommen ist“, sagte der Polizeipräsident. OTTO DIEDERICHS