kommentar : Geheimsache Guantánamo: Rechtsweg ausgeschlossen
Nun hat US-Präsident George W. Bush die ersten sechs Personen benannt, die vor US-Militärtribunalen verurteilt werden sollen. Die Öffentlichkeit wird davon nicht viel erfahren – selbst die Namen der Betroffenen werden geheim gehalten. Derzeit weiß niemand außerhalb des Pentagons, wessen sie eigentlich angeklagt werden sollen.
Damit setzt sich eine Situation der Rechtlosigkeit fort, die für viele Gefangene in den USA seit dem 11. September 2001 besteht und bei den mutmaßlichen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern in Guantánamo ihren Höhepunkt findet. Noch immer wird ihnen der Status von Kriegsgefangenen verweigert – sonst hätten sie nach dem Ende des Afghanistankrieges längst freigelassen werden müssen. Stattdessen befinden sie sich in einer juristischen Grauzone, die weder vom Völker- noch vom US-amerikanischen Recht erfasst ist.
In den USA selbst ist die anfänglich sehr harsche Kritik an den Militärtribunalen weitgehend verstummt. Als die Regierung die Einrichtung der Tribunale bekannt gab, bei denen das Militär ohne Berufungsinstanz Ankläger, Richter und Henker bei unklarer Verteidigung ist, waren zunächst selbst einige konservative Publizisten wütend geworden – wie etwa der Kolumnist der New York Times, William Safire, der allerdings vorschlug, die Terroristen lieber gleich in Afghanistan zu Tode zu bomben.
Nachdem das Verteidigungsministerium im Mai diesen Jahres schließlich die Verfahrensregeln bekannt gegeben hatte, ebbte die Kritik ab, weil den Angeklagten doch mehr konstitutionelle Rechte zugestanden wurden als zunächst erwartet. Doch die Ruhe dürfte verfrüht sein. Mit einer vernünftigen Verteidigung können die meisten der Angeklagten nicht rechnen – und wer schon das nur allzu oft zur Verurteilung Unschuldiger führende übliche US-Justizsystem kennt, der wird in die von Militärs geleiteten Geheimprozesse erst recht kein Vertrauen setzen. Es könnte sich für die Gefangenen fatal auswirken, dass der Mangel an Rechtsstaatlichkeit in den internationalen Beziehungen keine Rolle mehr zu spielen scheint. Wenige Menschenrechtsorganisationen stehen alleine da, während der Rest der Welt sich gelegentlich medial empört, ansonsten aber um neue Harmonie mit Washington bekümmert ist.
Insofern reihen sich die Militärtribunale in die lange Kette eigentlich undenkbarer Dinge ein, die die US-Regierung auf der Welle des 11. Septembers umsetzt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, da der „Kampf gegen den Terror“ die westliche Gesellschaft mehr verändert als der Terror selbst. BERND PICKERT