: Korporativer Adel
Hört das denn niemals auf? Heute und Sonntag (20.15 Uhr) wühlt die ARD mit „Soraya“ im Hochadel – die Leute werden einschalten. Warum nur?
VON JAN FREITAG
Ach, Kaiser sind doch gute Menschen. „Ich werde nicht aufhören, gegen Willkür und Ungerechtigkeit zu kämpfen“, sagt der graumelierte Perserfürst mit versonnenem Blick gen Armenviertel und wendet sich Soraya zu. Nicht wahr?, sagen warm seine Augen und alles ist vergessen: Die Dekadenz am Teheraner Hof, die Geheimpolizei, alles Diktatorengemäkel. In diesem Moment der Stille, so gegen halb zehn, gibt es nur noch Schah Reza, seine deutsche Braut und ein paar Millionen Fernsehzuschauer. Es ist wie so oft, wenn Adelsthemen zweidimensionalisiert werden: Prunk, Liebe und Intrigen versperren den Blick hinter die Kulissen, aber die Quote ist top.
Auch die deutsch-italienische Koproduktion „Soraya“ wird wie schon auf RAI Uno Massen fesseln. Als wäre der Adel noch sozial bedeutsam, als sei er abseits des Boulevards von Relevanz. „Es gibt keinen Adel als Klasse mehr“, sagte der Historiker Manuel Frey im Deutschlandradio. Dafür als „Familienzusammenhang“, als „Korporation“.
Vorbild Hochadel
Warum das Thema so spannend ist, warum es seit Sissi für massenmediale Verzückung sorgt? Die Aristokratie, so Frey, biete Antworten auf Fragen des Wertewandels, aufgelöster Traditionen und Standeserosion: „Ein Adeliger weiß, wo er herkommt und wo er hinwill.“ Schließlich sind traditionelle Werte auf dem Vormarsch. Die Topkategorien des Vorjahrzehnts – Hobby, Urlaub, Lifestyle – weichen laut einer Studie des BAT-Freizeitforschungsinstituts den Zielen Ehe, Liebe, Kinder. Die Mehrheit junger Leute, interpretiert der Tabakkonzern, „entdeckt die Werte von Beständigkeit und Verlässlichkeit“. Und was wäre dafür ein besseres Vorbild als der Adel, der auch im versnobten Nachkriegs-Iran sehr europäisch daherkam.
Prosaischer formuliert es Anja Kruse, die Sorayas Mutter spielt: „Je größer die Krise, desto mehr wollen die Leute träumen“, sagt sie. „Sie wollen ihre Märchenprinzen.“ Und keine Frage: Doll sind die Zeiten bekanntlich nicht. Nicht für die Buchbranche. Nicht für TV-Sender. Nicht für Zeitungsverlage.
Wäre da nicht der Schmalz. Die Groschenromanschmieden Bastei, Cora und Kelter haben 2003 um 10 Prozent zugelegt, die High-Society-Chronisten von Das Goldene Blatt bis Gala deuten erfolgreich die Mimik Adliger, und der ZDF-Zwölfteiler „Der Fürst und das Mädchen“ war 2003 eine der erfolgreichsten deutschen Produktionen. Als BAT die kulturellen Ansprüche im Land erfragte, hielten nur 29 Prozent Hochkultur und Massenvergnügen für Gegensätze. Institutschef Horst Opaschowski prägte dafür den Begriff Integrationskultur. Dass die auch blaublütig sein könnte, schien jedoch mit dem US-Serien-Boom in den Achtzigern vorbei.
Doch nichts da. Im Wiedervereinigungstaumel fuhren die „Guldenburgs“ Traumquoten ein, auch der Jetset-Quark „Rivalen der Rennbahn“ lief glänzend. Die Macher von „Schloß Hohenstein“ waren sich 1992 nicht zu blöd, „eine schöne und naive Studentin und Vollwaise“ als Gesellschafterin 13 Folgen auf das Herz von Graf Gregor zu hetzen. Serien ohne adelige Personalbasis mussten wenigstens im Schlosshotel spielen (Orth, Wörthersee), nachrichtlich ist aus Burgen und Ballsälen stets gut berichten, die Daily-Soap „Verbotene Liebe“ wird von Tag zu Tag herrschaftlicher, royale Hochzeiten wie vor zwei Wochen in Dänemark und letzte Woche in Spanien laufen live und werden stetig wiederholt (Spanien, SWR, Sa., 23.20–5.20 Uhr), „Der Prinz & ich“ entert gerade die Kinocharts. Wenn also Dieter Kehler, Regisseur vieler Filme nach Vorlage der Landadelsbiografin Rosamunde Pilcher, von schlechten Zeiten spricht, aus denen die Leute eben kurz entführt werden wollen, liegt nur ein Schluss nah: Gute Zeiten, die gab’s nie.