: „Schlüssel beim Nachbarn …“
Der Kalif von Köln hat einen kleinen weißen Zettel an seiner Wohnungstür hinterlassen – für die Polizei. Wo Metin Kaplan steckt, steht aber nicht drauf
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER
Ein kleiner weißer Zettel prangt an der roten Wohnungstür am Ende des Ganges: „Schlüssel beim Nachbarn. Die Tür bitte nicht eintreten!“ Hier, im sechsten Stock eines trostlosen Hochhauses im Kölner Stadtteil Chorweiler, wohnte Metin Kaplan. Bis … ja, bis wann?
Klaus Steffenhagen weiß es nicht. Nur so viel kann der Polizeipräsident der Domstadt berichten, als er sich gestern Mittag im Polizeipräsidium in Köln-Kalk der Presse stellt: Am vergangenen Montagabend war der selbst ernannte „Kalif von Köln“ noch da. Immer montags habe sich Kaplan bei der Polizei melden müssen, ansonsten aber sich in Köln frei bewegen dürfen, erläutert Steffenhagen. An diesem Montag habe der Sohn Kaplans ein ärztliches Attest vorgelegt, dass sein Vater krank sei und deshalb nicht selbst erscheinen könne. Daraufhin sei am Abend ein Vertreter der Führungsaufsicht in Kaplans Wohnung gewesen und habe den Mann angetroffen. „Augenscheinlich krank“, wie Steffenhagen berichtet. Das war das letzte Mal, dass er gesehen wurde.
Zwei Tage später, an dem Tag der Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, habe seine Polizei dann von 8.15 Uhr an das Domizil des Islamisten in der Osloer Straße rund um die Uhr überwacht. In dieser Zeit habe Kaplan das Gebäude „nicht betreten und nicht verlassen“. Nur: Ob Kaplan überhaupt an diesem Tag zu irgendeinem Zeitpunkt in dem observierten Haus war, kann Steffenhagen leider nicht sagen. „Wir hätten an dieser Tür schellen können“, springt ihm Landespolizeidirektor Dieter Klinger zur Seite. „Aber aus taktischen Gründen haben wir darauf verzichtet.“ Dumm gelaufen. Denn als Polizeibeamte am Mittwoch den um 18.25 Uhr erlassenen Haftbefehl zwanzig Minuten später vollstrecken wollten, fanden sie Kaplan nicht mehr in seiner Wohnung. Auch nicht in einer Moschee und einem Krankenhaus, die noch am Abend ungebetenen polizeilichen Besuch bekamen.
Wo sich Kaplan jetzt aufhält? Es werde mit Hochdruck nach ihm gefahndet, gibt sich Steffenhagen kämpferisch. Könnte sich Kaplan vielleicht in die Niederlande abgesetzt haben? Dorthin soll ein Großteil des Vermögens seines im Dezember 2001 in der Bundesrepublik verbotenen „Kalifatstaats“ verschwunden sein. Dort wird die Verbandszeitung Beklenen Asr-I Saadet gedruckt. Es läge also nahe, dass der krebskranke 51-Jährige zu einem seiner niederländischen Anhänger floh.
Oder befindet sich Kaplan vielleicht sogar noch in Köln?
Laut Steffenhagen kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass er sich noch in dem nach wie vor überwachten 14-geschossigen Gebäudekomplex in Chorweiler befindet. Denn schließlich gebe es dort insgesamt 260 Wohnungen – und keine rechtliche Möglichkeit, ohne konkreten Verdacht sie zu durchsuchen. Nur eines weiß der Polizeichef mit Sicherheit: „Wir haben uns nichts vorzuwerfen.“ Nein, der ratlose Steffenhagen hat keine Ahnung, wo sich Deutschlands Feindbild Nummer eins zurzeit befindet.
Auch der Verfassungsschutz habe ihm bisher bei der Fahndung nicht weiterhelfen können, sagt er. Dabei müssten die Verfassungsschützer es doch eigentlich am besten wissen, waren sie doch im wortwörtlichsten Sinne am nächsten dran: Die Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz befindet sich ebenfalls in Chorweiler – nur wenige hundert Meter von der Wohnung des Islamisten entfernt.
Kaplan gilt also als „untergetaucht“. Diesen Begriff will Inge Schürmann, die Sprecherin der Stadt Köln, allerdings noch nicht benutzen. Denn bislang habe sich der mittlerweile in allen Staaten des Schengener Abkommens zur Fahndung Ausgeschriebene an alle Auflagen der Ausländerbehörde gehalten. Dazu gehört, dass er das Kölner Stadtgebiet nicht ohne ausdrückliche Genehmigung verlassen darf und sich einmal pro Woche melden muss. Das sei wegen des Feiertages Pfingstmontag erst wieder am kommenden Dienstag der Fall. Sofern er also die Stadt nicht verlassen habe, habe er auch nicht gegen seine Meldeauflagen verstoßen. „Deshalb kann man auch nicht davon sprechen, dass er untergetaucht wäre“, so Schürmann.
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