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theaterEhehölle sensibel ausgeleuchtet

Er gilt als die brutalste Seelenentblößung der Bühnengeschichte: Edward Albees Klassiker von 1962, in dem sich vier Figuren mit geradezu überirdischer Bosheit gegenseitig zerfleischen. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ spielt im Universitätsmilieu der amerikanischen Ostküste, wo gelangweilte Intellektuelle sich auf Cocktailparties über selbst erfundene Lieder (wie das von Virginia) amüsieren.

Eine solche Party ist gerade vorbei. Martha (Stefanie Mühle) und ihr Mann, Geschichtsprofessor George (Martin Zuhr), sind wieder zu Hause und feiern auf ihre Weise weiter: mit ritualisierten Gemeinheiten, in freundlichstem Ton vorgebrachten Beleidigungen und jeder Menge Alkohol. Obwohl es schon drei Uhr nachts ist, kommt noch Besuch: ein junger Biologiedozent (Simon Cox) und seine Frau (Anne Simmering). Zunächst werden die gesellschaftlichen Formen noch halbwegs eingehalten, doch je mehr sich die Krawatten lockern und der Alkoholkonsum steigt, desto rücksichtsloser versuchen die Figuren, einander zu verletzen, tief in die Seele versenkte Lebenslügen ans Licht zu zerren und sich gegenseitig den Ekel ins Gesicht zu schreien, den sie vor dem eigenen Leben empfinden.

Deprimierend muss das nicht sein: Angenehm häufig kippt der Psycho-Exorzismus ins Komödiantische, verwandelt Regisseur Joe Knipp gallebittere Ironie in leicht verträglichen Humor, der das Publikum befreit lachen lässt – auch wenn sich auf der Bühne Dramen abspielen.

Es geht um mehr als eine Ehehölle in Monotonie und Kinderlosigkeit, um mehr als das Fassadenleben im akademischen Mikrokosmos, um mehr als eine Heirat aus karrieristischem Kalkül: In ihrem sehr sensiblen und eindringlichen Spiel gelingt es den AkteurInnen, das Allgemeingültige aus dem etwas angestaubten Plot zu isolieren: die Hilflosigkeit angesichts einer Realität jenseits geplatzter Träume – eine Hilflosigkeit, die keinen anderen Ausweg kennt als den Angriff auf das eigentlich geliebte Gegenüber.

Trotz furchtbarer Einblicke – diese Aufführung ist ein Juwel.

Holger Möhlmann

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“: Theater am Sachsenring, Köln, Sachsenring 3, Tel. 0221/31 50 15, nächste Vorstellungen: 29. und 31. Mai, jeweils 20.30 Uhr

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