Das kommt uns chinesisch vor

Er beherrscht jene Mischung lokaler und globaler Traditionslinien, die uns auch die nichtwestliche Kunst als weltläufig und welthaltig erscheinen lässt: Das Museum für Ostasiatische Kunst in Berlin stellt erstmals den chinesischen Künstler Xu Bing vor

von BRIGITTE WERNEBURG

Warum brachte ausgerechnet das „Book from the Sky“ dem chinesischen Künstler Xu Bing den internationalen Durchbruch? Die Antwort ist schwierig, denn seine Pointe können nur die chinesischen oder japanischen Betrachter dem Rest der Welt erklären. Nur sie erkennen, dass die bedruckten Papierbahnen gar nichts besagen, die Xu Bing als Querrollen von der Decke hängen und als gebundene Bücher den Boden bedecken lässt. Nur sie sehen sofort, dass die Schriftzeichen, die in dieser monumentalen und raumgreifenden, zugleich aber schwebend-poetischen Installation die auratische Autorität einer Jahrtausende alten Kulturleistung behaupten, keine chinesischen sind, sondern reine Erfindungen des Künstlers. Als solche stellen sie freilich eine gewaltige Leistung an Imagination und Handwerkskunst dar. Vier Jahre lang, zwischen 1987 und 1991, schnitzte Xu Bing, der eine klassische akademische Ausbildung in Schriftmalerei erhielt, die 4.000 von ihm entwickelten Zeichen in hölzerne Druckstöcke.

Vielleicht rührt nun die westliche Begeisterung einfach daher: Das uns Fremde ist denjenigen, denen es bekannt sein müsste, genauso fremd wie uns. Wir sind hier nicht die Doofen! Ja, wir verstehen den konzeptionellen Kniff, mit dem Xu Bing traditionelle Gelehrsamkeit und Bildung, aber auch Reform- als Machtpolitik thematisiert, unter Umständen sogar schneller als seine Landsleute. Sein Kniff jedenfalls erscheint uns ohne weiteres als eine Strategie, die unseren Arsenalen der Kritik entstammt. Das „Book from the Sky“, das in China als eine Arbeit über die klassische Kalligraphie und deren – man möchte sagen: ikonoklastische – Reformierung unter Mao Aufsehen erregte, wurde im Westen sofort als jene hybride künstlerische Ausdrucksweise gewürdigt, die das Eigene in der internationalen Sprache des Konzeptualismus zu vermitteln vermag. Als jene Mischung lokaler und globaler künstlerischer Traditionslinien, die auch die Arbeiten anderer international anerkannter, nichtwestlicher Künstler wie Rirkrit Tiranvanija, Yinka Shonibare oder Shirin Neshat kennzeichnet. Natürlich ist es die westliche Beimischung, die ihre Werke weltläufig und welthaltig erscheinen lässt. Auch in der Kunst herrscht globale Verteilungsungerechtigkeit. Über den Zugang zum Markt ideeller wie materieller Anerkennung entscheiden wir. Peter Ludwig, wer sonst, erwarb Xu Bings Installation frühzeitig für sein Kölner Museum.

Nun beeindruckt das „Book from the Sky“ im Berliner Museum für Ostasiatische Kunst. „Xu Bing in Berlin – Sprachräume“ heißt die erste Museumsausstellung des 1955 geborenen Künstlers in Deutschland. Zu sehen sind zentrale Arbeiten der letzten Jahre, die zunächst noch in China entstanden, nach 1990 aber in Amerika, wohin er nach der Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz übersiedelte. „Square Word Calligraphy“ (1994–1996) bringt die lateinischen Buchstaben aus ihrer gewohnten linearen Abfolge, setzt sie ins Quadrat – und sofort kommt uns das chinesisch vor. Eine vom Künstler entwickelte Computersoftware schreibt derart jeden beliebigen Text aus lateinischen Buchstaben um, falls man nicht im Klassenzimmer, das Xu Bing für „An Introduction to New English Calligraphy“ aufgebaut hat, diese neue Schrift eigenhändig üben möchte. Den Kampf der (Schrift-)Kulturen dokumentiert schließlich das Video einer 1994 in Peking aufgeführten Performance, in der am Ende der lateinisch beschriftete Eber zu obsiegen scheint, indem er die chinesisch bezeichnete Sau besteigt. Doch ist er in diesem Akt nicht einfach der verführerischen Macht des Piktogramms erlegen?

Für „Where Does the Dust Itself Collect?“ (2004), gewann Xu Bing in diesem Jahr einen der höchstdotierenden internationalen Kunstpreise, den von der Waliser Stadt Cardiff neu ausgeschriebenen „Artes Mundi Prize“. Der Künstler lässt ein Zitat des chinesischen Zenphilosophen Huineng aus dem Staub heraus blitzen, den er in den Tagen nach dem Terrorangriff in den Nebenstraßen um das World Trade Center gesammelt hat und nun auf dem Museumsboden verbläst. Am einsichtigsten freilich erklärt sich Xu Bings stupender handwerklicher wie konzeptueller Zugriff auf die Verwicklungen der globalen Kunstkommunikation in situ, in einer Installation, die sich mit der Geschichte des Ostasiastischen Museums auseinander setzt.

Breit hingetuscht, meint man bei „Background Story“ (2004) hinter großformatigen Milchglasscheiben klassisch fernöstliche Landschaftsgemälde zu sehen. Doch zwischen ihnen öffnet sich ein Durchgang, der den Blick hinter die Kulissen erlaubt: Und hier finden sich nun Vitrinen, in denen trockene Zweige und Kiefernäste aufgetürmt und Lauchblätter und anderes organisches Material mit simplem Tesaband an die Scheiben geklebt sind, wodurch die Landschaftsillusion auf der anderen Seite entsteht.

Tatsächlich rekonstruiert Xu Bing in diesem drei Vitrinen die Hängerolle „Geburtstagsfeier im Föhrenpavillon“ von Dai Jin (1388–1462), eine Gebirgslandschaft von Kanô Eitoku (1543–1590) und eine anonyme japanische Malerei auf einem sechsteiligen Stellschirm – alles Exponate, die dem Berliner Museum 1945 verloren gingen, als die Rote Armee rund 90 Prozent seines Bestands in die Sowjetunion abtransportierte. Dort befinden sich die Kunstwerke noch heute. Den sanften Spott wie die harte Drastik, mit der Xu Bing die Konflikte zu seinem Thema macht, die unsere lokalen wie globalen Verständigungsversuche aus ideologischen, ökonomischen oder politischen Gründen prägt, gewinnt er mit den Mitteln einer interessanterweise dann doch interkulturell geteilten, zauberhaften Ironie – wie hier ein weiteres Mal zu sehen ist.

Bis 1. August, Katalog (Buchhandlung Walter König) 15 €