: „Das ist eine deutsch-jüdische Debatte auf Augenhöhe,“ sagt Micha Brumlik
Die Flick-Collection soll gezeigt werden – aber nur mit einer Dokumentation der NS-Vergangenheit der Flick-Familie
taz: Warum soll Friedrich Christian Flick in Berlin seine Bilder nicht ausstellen?
Micha Brumlik: Das soll er – aber unter gewissen Bedingungen. Flick hat diese Bilder mit Mitteln erworben, die letztlich aus der Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen und so genannten Fremdarbeitern stammen. Sein Großvater hat den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Deutschlands, der zur Ermordung der europäischen Juden geführt hat, mit vorbereitet und davon profitiert. Das Mindeste ist, sich der Herkunft dieser Mittel bewusst zu sein – also eine Dokumentation über die Geschichte des Flick-Vermögens in die Ausstellung zu integrieren.
Dann wäre die Ausstellung in Ordnung?
Friedrich Christian Flick wäre gut beraten, wenn er verdeutlichen könnte, dass es ihm wirklich nur um wohltätige Zwecke geht – und nicht um die Wertsteigerung seiner Sammlung.
Inwiefern?
Die Sammlung ist jetzt eine Leihgabe für sieben Jahre – und Kunstexperten sagen, dass der Wert ausgestellter Werke steigt. Das kann es nicht sein. Flick sollte die Sammlung der Bundesrepublik schenken – so wie das sein großes Vorbild, Heinz Berggruen, auch getan hat.
Der Beschluss, dass die Flick-Collection in Berlin gezeigt wird, ist schon älter. Warum kommt die Debatte erst jetzt?
Kritik gab es schon früher – aber eskalierend hat gewirkt, dass Kanzler Schröder und Kulturstaatsministerin Weiss Flick liebedienerisch umworben haben – so als gäbe es kein Problem. Immerhin hatte Zürich zuvor die Flick-Collection abgelehnt – und Zürich ist ja nicht gerade dafür bekannt, der Finanzwelt abgeneigt zu sein.
Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, ist nun der Ansicht, dass die Ausstellung „nicht verwerflich“ sei – weil Flick keine Sympathie für die Taten seiner Vorfahren habe. Ist das plausibel?
Ich finde nicht. Flick hat ja selbst gesagt, dass er mit dieser Ausstellung seiner dunklen Familiengeschichte einen hellen Akzent hinzufügen will. Wenn er gesagt hätte, dass er progressive, auch von den Nazis verfemte Kunst ausstellen will, wäre es in Ordnung gewesen. Aber er hat selbst den Zusammenhang mit seiner Familie ins Spiel gebracht.
Bei aller Hochachtung vor Michael Blumenthal – er beansprucht hier die Position eines objektiven Dritten, die er so wenig haben kann wie andere. Er musste als Jugendlicher aus Deutschland emigrieren, er ist ein Verfolgter der Nazis – aber seine Erinnerungen sind ganz andere als jener, die unmittelbar die NS-Massenvernichtung erlebt haben.
Das nimmt ihm nicht das Recht, sich an der Debatte zu beteiligen.
Nein, überhaupt nicht. Ihm kommt nur keine besondere Kompetenz in dieser Frage zu.
Auch Flick argumentiert, er sei nicht schuld an den Taten seines Großvaters.
Es geht doch nicht um eine generationenübergreifende Schuld. So etwas gibt es so wenig wie eine Kollektivschuld. Aber es gibt die nationalsozialistische Hypothek, die in politische Verantwortung zu übernehmen ist.
Der Vorwurf „Blutgeld“ assoziiert aber, dass die Schuld durch die Generationen vererbt wird …
Wenn man Geld erbt und entdeckt, dass der Großvater ein übler Mafiosi war – denken Sie nur an den Film „Der Pate“ –, dann muss man dazu Stellung beziehen. Wenn Flick wirklich politisch verantwortlich und historisch sensibel handeln will – warum sperrt er sich dann gegen die Dokumentation seiner Familiengeschichte in der Ausstellung?
Viele sind überrascht vom Ton der Kritik: Salomon Korn, bekannt als abwägender Geist, hat Flick z. B. seine Playboy-Existenz vorgeworfen. Ist die Vermischung einer geschichtspolitischen Debatte mit einem solchen moralischen Urteil legitim?
Ja, Korns Worte sind deutlich, aber werden dadurch nicht falsch. Es ist legitim, darauf hinzuweisen, dass Herr Flick sich bislang nicht in besonderer Weise um das Gemeinwesen gekümmert hat.
Drücken die harschen Worte von jüdischer Seite nur die Kritik an der Flick-Collection aus – oder ein Unbehagen in der bundesdeutschen Kultur? Gibt es wieder stärker das Gefühl, auf gepackten Koffern zu sitzen?
Nein, überhaupt nicht. Gerade Salomon Korn bekennt sich doch dazu, dass die Bundesrepublik der Ort ist, an dem er lebt und sich politisch einbringt. Und seine Einlassung bekräftigt dies – es ist die Kritik eines engagierten jüdischen Citoyen, dem es um die Seele des bundesrepublikanischen Gemeinwesens geht. Traurig ist allerdings, dass man öffentlich erst zuhört, wenn ein jüdischer Repräsentant diese Dinge zur Sprache bringt. Die Appell der Berliner Bürgerinitiative, die sich für die Dokumentation der Flick-Geschichte einsetzt, wurden zuvor ja leider überhört.
Wäre diese Debatte vor zehn Jahren auch so verlaufen? Oder gibt es etwas Neues, Typisches?
Typisch ist, dass es eine Debatte unter gleichberechtigten Staatsbürgern ist. Das merkt man daran, dass Salomon Korn kein Bonus – oder sagen wir – kein Schonraum zugestanden wird. Das wäre vor zehn Jahren wohl noch der Fall gewesen. Jetzt ist es eine Debatte auf Augenhöhe. Das scheint mir neu zu sein.
Also ein Zeichen für eine „Normalisierung“ des deutsch-jüdischen Verhältnisses?
Ja, mit Anführungsstrichen. Die Befangenheiten bleiben.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE