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Archiv-Artikel

Die USA müssen bleiben

Der Irak braucht stabile Institutionen – doch Polizei und Verwaltung sind dem Druck von Parteien und Stämmen ausgesetzt. Sicherheit können zunächst nur die Besatzer bieten

Der Antritt der Interimsregierung wird politisch nicht die große Wende bringen

Es ist schon beinahe ein Ritual: Washington bringt eine UNO-Resolution zum Irak ein, London drängt auf leichte Korrekturen, Berlin, Paris, Moskau und Peking verlangen entscheidende Verbesserungen. Vor allem Frankreich gefällt sich in der Rolle des Sachverwalters irakischer Interessen, indem es die vollständige Übergabe des Sicherheitsressorts an die Iraker anmahnt. Der Glaube, die irakischen Sicherheitskräfte könnten die widerstrebenden Kräfte im Zweistromland im Zaum halten, ist freilich nicht mehr als eine Illusion.

Dazu beigetragen haben auch irakische Politiker aller Coleur, die seit einem Jahr unermüdlich wiederholen, alles werde gut, wenn sie erst die Kontrolle ausüben. Sie unterschlagen, dass sie dafür ihre bewaffneten Verbände einsetzen möchten, die fast allesamt durch eine Mischung aus ethnischer und politischer Loyalität geprägt sind: die Peschmerga-Verbände der kurdischen Parteien, die Badr-Einheiten des schiitischen Hohen Rats für die islamische Revolution (Sciri) sowie die ebenfalls schiitischen Kämpfer der Dawa-Partei, der Hisbollah und die Miliz des Muktada al-Sadr.

Gemäß der Interimsverfassung sollten die Milizen außer den Peschmerga bis zum 30. Juni entwaffnet werden. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Das Vorhaben war angesichts der anhaltenden Kämpfe sicher zu ehrgeizig. Darauf zu verzichten ist für die Aussicht auf Stabilität und Demokratie eine Katastrophe. Wie schwer es im Nachhinein ist, eine von Parteiloyalitäten unabhängige Polizei zu schaffen, zeigt ein Blick nach Kurdistan. Dort haben sich die beiden großen Parteien KDP und KDP in einem jahrelangen Krieg verschlissen, und allen Beteuerungen der kurdischen Einheit zum Trotz sind die Bemühungen, die beiden getrennten Administrationen wieder zu vereinen, bisher genau an dieser Frage gescheitert. Kurdistan lehrt aber auch, dass der Aufbau eines staatlichen Sicherheitsapparats nicht gegen, sondern nur mit den Parteien und ihren bewaffneten Kämpfern gelingen kann.

Deren Einsatz gegen die Diktatur verdient Anerkennung. Der Vorschlag der Koalition, ihnen wie ehemaligen Soldaten eine Pension oder Ausbildung zu bezahlen, ist ein richtiger Ansatz. Nur wer eine Zukunft hat, legt die Waffen nieder. Andere können in die neue Polizei, die Nationalgarde oder Armee integriert werden. Ihr Aufbau wird ohnehin noch Jahre in Anspruch nehmen. Nicht die Amerikaner haben den Irak ins Chaos gestürzt, als sie den alten Sicherheitsapparat nach dem Sturz des Regimes auflösten. Der frühere Apparat bestand aus einem feinmaschigen Netz von diversen Staats-, Geheimdienst- und Polizeiorganen, die sich gegenseitig kontrollierten und ein Klima der Angst erzeugten. Der Preis der Sicherheit war ein System gegenseitiger Einschüchterung, in dem jeder jeden bespitzelte. Psychologisch zusammengehalten wurde es von Saddam Hussein. Mit dem Ende der Diktatur ist auch dieses System verschwunden.

Die neuen Polizeikräfte haben zwar erste Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung, doch dem Druck ihrer Stämme oder favorisierten Parteien halten sie nicht stand. Wenn es die Parteien mit der Demokratie ernst meinen, müssen sie die politische Einflussnahme auf die Sicherheitsorgane beenden. Da sie aber selbst dann, wenn eine für alle Seiten halbwegs akzeptable Interimsregierung die Amtsgeschäfte übernimmt, eifersüchtig übereinander wachen werden, werden die USA und Großbritannien weiterhin im Zweistromland gebraucht. Zumal die Sicherheitsorgane gegen den Terror der sunnitischen Untergrundkämpfer machtlos sind. Die Koalition muss Geld, Personal und Fachwissen für den Aufbau von Verwaltung und Polizei zur Verfügung zu stellen. Statt ihren Abzug zu fordern, sollte man sie auf ihr Versprechen verpflichten, ein demokratisches Staatswesen aufzubauen. Dazu müssten sie sich allerdings zuallererst selbst an die rechtsstaatlichen Regeln halten, die sie angeblich durchsetzen möchten.

Nach einem Jahr zeigt die Koalition bereits starke Abnutzungserscheinungen. Zwar werden vor allem die USA ihre Truppen so bald nicht abziehen, weil das Zweistromland im Kampf gegen den islamischen Terror strategisch viel zu wichtig ist. Doch die Bereitschaft des Militärs, den Kopf für eine Vision herzuhalten, sinkt.

Der sunnitische Untergrund aus dem Umfeld der ehemaligen Armee, der Republikanischen Garden und Saddam-Fedajin ist inzwischen bestens organisiert. Auf ihr Konto geht auch das Gros der Anschläge auf irakische Polizeistationen, Politiker und Mitarbeiter ausländischer Firmen. Sie und nicht die islamische Dschihad-Internationale sind derzeit die größte Gefahr für das Land. Dass sie mit der Wiederherstellung der Souveränität am 1. Juli plötzlich die Waffen niederlegen, ist unwahrscheinlich. Der Sieg in Falludscha, wo mittlerweile ehemalige Baathisten das Kommando innehaben, ist kein Zeichen für eine erfolgreiche Integration von Ewiggestrigen, sondern hat dem Aufbau der Demokratie nachhaltig geschadet. Kommandeure vor Ort preisen Falludscha als lokale Lösung für ein lokales Problem. Auf diesen Einfall können freilich nur Leute kommen, die nicht mehr ein noch aus wissen. Und das ist wohl das Dilemma der gesamten Irakpolitik.

Deshalb klammern sich die Alliierten wie Ertrinkende an den Strohhalm, dass der Antritt einer Interimsregierung am 1. Juli politisch die große Wende bringen wird. Doch das wird er nicht. Das Fehlen demokratischer Legitimation ist ein Manko, schwerer wiegt aber, dass es nicht nur im Irak, sondern auch in den Nachbarländern Kräfte gibt, die wenig Interesse an einem stabilen und demokratischen Irak haben.

Der Aufbau von Polizei und Armee wird im Irak noch Jahre in Anspruch nehmen

Nach Jahren des erzwungenen Schweigens mangelt es den Demokraten im Irak an Kraft und Mut. Das hat westlich von Euphrat und Tigris Kommentatoren zu der Einschätzung verleitet, die Iraker seien nicht reif für die Demokratie und ein gemäßigter Diktator sei die einzige Lösung. Obwohl die Voraussetzungen im Zweistromland schwierig sind, sind Demokratie und Rechtsstaat auch hier möglich. Voraussetzung dafür ist der Aufbau funktionierender Institutionen. Die Amerikaner und Briten haben einen Anfang gemacht, Berlin und Paris müssen sich daran endlich beteiligen. Der Transfer von administrativem Know-how wird von den meisten Irakern geschätzt, zumal sie ihren Politikern wenig Vertrauen im Kampf gegen Vetternwirtschaft und Korruption entgegenbringen.

Statt auf ein baldiges Ende der Besetzung sollte man darauf drängen, dass Washington endlich Auskunft über alle Gefangenen gibt. Eine unbekannte Zahl irakischer wie ausländischer Kämpfer wird weiterhin ohne jeglichen Rechtsschutz gefangen gehalten. Nach Abu Ghraib hat die Bush-Administration in diesem Punkt aber jeden Vertrauensvorschuss verspielt. Und in Europa sollte man aufhören, auf den Geschützdonner der neuen und alten Gewalttäter zu hören. Amerika wird – mit oder ohne Bush – im Irak auch künftig gebraucht. INGA ROGG