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Archiv-Artikel

„Mit Kerry gäbe es eine Wende in der Außenpolitik“

Der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel meint, dass der demokratische Präsidentschaftskandidat zum Stil von Bill Clinton zurückkehren wird

taz: John Kerry hat sich dazu, bekannt , dass die USA Allianzen brauchen. Ist das die Ankündigung einer echten Abkehr von Georg W. Bushs unilateralen Alleingängen?

Ernst-Otto Czempiel: Kerry ist mit Bush scharf ins Gericht gegangen. Bush habe das Ansehen der USA in der Welt und die Legitimität der US-Führungsrolle in der Welt verspielt. Das ist eine deutliche Abgrenzung – zumal dies erst der Beginn des Wahlkampfes ist. Die Schärfe der Reden wird, je näher die Wahl kommt, zunehmen.

Worin würde sich Kerrys Außenpolitik denn von Bushs unterscheiden?

Sicher ist auch Kerry der Überzeugung, dass sich die USA, als einzige Supermacht der Welt, nicht von den Voten der UNO, der Nato oder einer Koalition der Willigen abhängig machen sollten. Insofern ist sein Multilateralismus eingeschränkt. Aber trotzdem würde er als Präsident einen fundamental anderen Kurs einschlagen als Bush. Er würde sich zurücktasten zu der gewohnten Führungsrolle der USA in der Welt. Sie dürfen nicht vergessen, dass Bush eine enorme Abweichung von dem Mainstream der US-Außenpolitik verkörpert. Kerry dürfte zu Clintons Stil zurückkehren.

Das heißt konkret?

So wie er es in seiner Rede angekündigt hat, gehört dazu eine starke Rolle des US-Militärs, das dafür auch die nötige Ausrüstung bekommt. Aber dazu gehört eben nicht die Überbetonung des Militärischen wie bei Bush, der zu oft und zu früh zu militärischer Gewalt greift. Kerry will also die Abkehr von der ideologisierten Gewaltpolitik unter Bush – und von dessen Geringschätzung völkerrechtlicher Regeln. Deshalb hat er ja auch die westlichen Werte so betont. All das zusammen ergibt eine maßgebliche Wende in der Außenpolitik.

Dann können die Europäer also einem möglichen Präsidenten John Kerry zuversichtlich entgegenblicken?

Ja und nein. Ja, weil von ihm keine Extreme wie bei Bush zu erwarten sind. Nein, weil machtpolitisch die transatlantische Struktur gleich bleibt. Schon unter Clinton haben wir – siehe Kosovokrieg – gelernt, dass die Unfähigkeit der Europäer, im außen- und sicherheitspolitischen Bereich mit einer Stimme zu sprechen, dazu führt, dass sie zu Hilfstruppen deklassiert werden. Das kann und wird unter jedem US-Präsidenten passieren – einfach aufgrund der Machtfülle der USA. Wenn die Europäer bei Kerry eine größere Rolle spielen wollen, dann müssen sie ihre oft proklamierte gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik verwirklichen. Das ist nötig, denn auch unter Kerry wird es weiterhin gravierende Interessensunterschiede zwischen den USA und Europa geben.

Eine Kritik an Kerry lautet, dass er sich nicht eindeutig zum Irak äußert. Warum tut er das nicht?

Er muss den Eindruck vermeiden, dass er Bush aus der Klemme hilft – aber auch, dass er ihn bewusst in der Klemme lässt. Daher das Vage.

Kerry will die Nato im Irak involvieren. Das ist doch ein präziser Vorschlag.

Wirklich? Auch Kerry weiß doch, dass führende Nato-Staaten da nicht mitmachen werden. Nein, das ist eher Wahlkampf als ein durchdachter Plan. INTERVIEW: STEFAN REINECKE