Am besten einfach Pleite gehen lassen

In seinem Buch über die Bankgesellschaft Berlin enthüllt Mathew D. Rose die Dimension des bislang größten Bankenskandals der Bundesrepublik

von RALPH BOLLMANN

Es klang ziemlich rätselhaft, was der Berliner SPD-Vorsitzende Peter Strieder im Januar 2001 einigen Lokaljournalisten mit unverhohlener Vorfreude ankündigte: Der örtliche CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky werde demnächst ziemlich viel Ärger bekommen, denn bei der Bankgesellschaft Berlin, deren Tochter BerlinHyp Landowsky leitete, würden für windige Immobilienfonds demnächst Rückstellungen in Milliardenhöhe fällig.

Immobilienfonds? Rückstellungen? Milliardenhöhe? Die versammelten Politikjournalisten, in Wirtschaftsfragen wenig beschlagen, verstanden nichts.

Knapp drei Wochen später waren sie schlauer. Unvermittelt erreichte die Redaktionen ein Fax der Berliner CDU-Fraktion, in dem Klaus Landowsky den Empfang einer Parteispende in Höhe von 40.000 Mark bestätigte – und zwar aus der Hand von zwei CDU-Mitgliedern, denen seine Bank zeitgleich einen Immobilienkredit in Höhe von 600 Millionen Mark gewährte. Mit dem Wort „Parteispende“ konnte jeder etwas anfangen, und so war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Landowsky erst seinen Bankposten und dann seine politischen Ämter aufgeben musste.

Mit seinem überraschenden Geständnis vom 8. Februar 2001 war Landowsky lediglich den Recherchen des Berliner Journalisten Mathew D. Rose zuvorgekommen. Der gebürtige Amerikaner war den Machenschaften bei der Bankgesellschaft schon seit Jahren auf der Spur, ohne mit seinen Veröffentlichungen das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit wecken zu können. Die „Landowsky-Affäre“ gab ihm zwar späte Genugtuung, aber gleichzeitig verhinderte der verengte Blick auf die Spende auch die Auseinandersetzung mit der ganzen Dimension dieses größten Bankenskandals in der Geschichte der Bundesrepublik.

Genau darin liegt das Verdienst dieses Buches: So strukturiert wie faktenreich schildert Rose fernab eines kurzsichtigen Affärenjournalismus die Chronik einer absehbaren Milliardenpleite. Die Bankgesellschaft Berlin war eine Fehlkonstruktion von Anfang an. Schon ihre Gründung durch den Berliner CDU-SPD-Senat am 1. Januar 1994 diente vor allem dem Ziel, ein Finanzdesaster zu verschleiern: Um die Misere bei der privatrechtlich organisierten Berliner Bank zu kaschieren, wurde das Institut kurzerhand mit der städtischen Sparkasse zur neuen Bankgesellschaft fusioniert – ein auch juristisch höchst fragwürdiges Modell.

Immer gewagtere Konstruktionen entwickeln, um alte Verluste zu verschleiern – das sollte sich in den Folgejahren geradezu als Lebensprinzip der neuen Bank erweisen. Um als Newcomer auf einem dicht besetzten gesamtdeutschen Markt ins Geschäft zu kommen, musste die Bankgesellschaft Bauprojekte finanzieren, vor denen die Konkurrenz wegen des hohen Risikos zurückschreckte. Als der ostdeutsche Immobilienmarkt in den späten Neunzigern zusammenbrach, wurden die faulen Kredite einfach in Immobilienfonds ausgelagert, um sie aus der Bilanz verschwinden zu lassen.

Aber wie kann eine Bank die Anleger dazu bringen, ihr Geld in derart riskante Fonds zu investieren? Ganz einfach: Indem sie die Fonds mit solch üppigen Renditegarantien und Rückkaufoptionen ausstattet, dass sie de facto die Sicherheit eines Schatzbriefs bieten, kombiniert mit den Steuervorteilen eines Immobilien-Investments.

Anders als in der aufgeregten Berichterstattung des Jahres 2001 oft suggiert, bestand das Hauptproblem nicht darin, dass einer dieser Fonds speziell für Prominente aufgelegt wurde. Das Problem war gerade, dass die Bankgesellschaft ihre „Sorglos-Fonds“ breit unters Volk streute – mit allen Risiken für das landeseigene Institut und damit für den Berliner Steuerzahler.

Die Liste der Schuldigen ist lang, und sie reicht weit über Landowsky und seine Kollegen hinaus. Die Bankmanager haben gehandelt, aber viele andere haben die Augen zugedrückt. Die Wirtschaftsprüfer sahen nicht genau hin, weil sie die Aufträge der Bankgesellschaft nicht verlieren wollten. Dem Berliner Senat war jahrelang eine frisierte Dividende lieber als ein ehrlicher Verlust, den das Land zu tragen hätte.

Mit mehr als 20 Milliarden Euro bürgt der Stadtstaat inzwischen für die Risiken der Bank, das entspricht einem kompletten Jahreshaushalt – ein schwerer politischer Fehler, wie Rose meint. Mit guten Argumenten plädiert er dafür, die Bank einfach Pleite gehen zu lassen. Die Konten der Kleinanleger sind ohnehin abgesichert, und die Haftung für die Immobilienfonds wäre das Land dann los.

Zwei Gründe sind es, die auch aus Sicht der heutigen rot-roten Koalition gegen dieses Szenario sprechen. Zum einen die Vorstellung, Berlin müsse wochenlang von Suppenküchen der Bundeswehr versorgt werden, weil mehr als zwei Millionen Sparkassenkunden vorübergehend nicht an ihr Geld kommen. Vor allem aber würde sich das klamme Berlin mit einem solchen Schritt, der das System der öffentlichen Banken in Deutschland zum Einsturz brächte, endgültig die Sympathien der übrigen Bundesländer verscherzen.

Gesellschaftliche Verkrustung und kollektive Verantwortungslosigkeit, so Roses Fazit, hätten das Desaster herbeigeführt. In der Einleitung und im Schlusskapitel weitet der Autor diese Diagnose allerdings maßlos aus. Da wird der Bundestag plötzlich zur „Kulisse für eine Fernseh-Soap namens ‚Deutsche Demokratie‘“, und die Berliner Finanzmisere lastet Rose einzig und allein dem Bankenskandal an. Doch das Desaster bei der Bankgesellschaft ist nicht die alleinige Ursache der Berliner Krise, sondern das augenfälligste ihrer vielen Symptome – das Symptom einer Stadt, in der es jahrzehntelang kein Gefühl für politische und finanzielle Verantwortung gab.

Mathew D. Rose: „Eine ehrenwerte Gesellschaft. Die Bankgesellschaft Berlin“, 232 S., Transit, Berlin 2003, 16,80 €