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Archiv-Artikel

Ohne Caipirinha geht gar nichts

Der Karneval der Kulturen bricht alle Rekorde. Fast eine Million Zuschauer lockt allein der Straßenumzug nach Kreuzberg. Hat die Loveparadisierung des Multikulti-Karnevals begonnen?

VON BRITTA KUCK

„Sehr geehrte Fahrgäste, die Busfahrt wird aufgrund des Verkehrs etwa 20 Minuten länger dauern. Wer lieber laufen will …“ Spätestens jetzt macht sich am Sonntagnachmittag in Kreuzberg der Karneval der Kulturen bemerkbar. Gut gelaunt und hoch motiviert geht’s also zu Fuß weiter Richtung Blücherplatz. Ist der Karneval der Kulturen eine neue, multikulturelle Love Parade für alle Altersklassen?

Zumindest die Masse der Menschen errinnert an die Love Parade. An den Ständen ist kaum ein Durchkommen, aber hungrig bleibt niemand bei unterschiedlichen Spezialitäten an jeder Ecke. Und alkoholdurstig ohnehin nicht, denn ohne Caipirinha geht scheint’s gar nichts. Auch das Bier fließt in Strömen. Pille oder Pulle, was macht das schon.

Auf der Ehrentribüne ist Klaus Wowereit, der am Abend zuvor schon bei der Werder-Party im Olympiastadion war. Der Regierende ist begeistert vom Karneval und folgert, dass Integration „kein Fremdwort“ sei. Auch die Veranstalter sind begeistert: „Alle Rekorde wurden gebrochen.“ Allein 900.000 Menschen zog der Umzug nach Kreuzberg – 200.000 mehr als im vergangenen Jahr und deutlich mehr als zur letztjährigen Love Parade. Zählt man die Besucher des Straßenfestes dazu, feierten gar 1,8 Millionen Besucher.

Gegen 18 Uhr ziehen die Formationen sowie 70 geschmückte Wagen am U-Bahnhof Mehringdamm vorbei. „Ist das etwa schon der letzte Wagen?“, schießt es wohl so manchem erschrocken durch den Kopf, der gerade erst hierher gekommen ist. Doch zum Glück gab es nur eine längere Lücke im Umzug. Der nächste Wagen ist zwar bunt geschmückt, von feuriger Sambashow kann aber wirklich keine Rede sein. Eher ist es eine Erholungspause, in der die Tänzer nicht wagen, das Tanzen ganz einzustellen. Ein Radioteam wirkt zwischen aufblasbaren orangefarbenen Palmen dann doch erfrischender. Es gibt sogar eine Mini-La-Ola-Welle – ja, das gefällt dem Publikum. Und dann wieder ein paar Sambatänzerinnen. „Das ist wie die Love Parade ohne Titten“, ruft ein Zuschauer aus der dritten Reihe, dem es anscheinend nicht freizügig genug ist.

Eingefleischte Raver werden den Karneval der Kulturen wohl nicht als Kompromiss akzeptieren – wenn man bedenkt, dass auf dem nächsten Wagen ganz relaxt eine Raggae-Band jammt. Obwohl es da oben lebhafter zugeht als bei so mancher Sambagruppe. Hm, wie wär’s denn, wenn diese indischen Tänzerinnen zu Doktor Motte abgehen würden? Dann stände vermutlich auch nicht mehr in den Gesichtern der Zuschauer geschrieben: Vielleicht kommt ja noch was Interessantes.

Auch stimmungsmäßig ähneln sich Love und Kultur-Parade. Von dem, was auf den Wagen geboten wird, werden wenige mitgerissen. „Ich vermiss die Trommelgruppen“, erzählt ein Jugendlicher. „Es hat keiner mitgetanzt. Was will man auch machen, wenn einfach keine Stimmung da ist.“

Vielleicht war es ja zu warm. Vielleicht hatte man sich den Bauch zu voll geschlagen. Vielleicht war man auch zu beschäftigt damit, nicht über die vielen Caipirinha-Limettenstückchen zu stolpern. Und dann wird man sich wohl schon überlegt haben, ob man im nächsten Jahr nicht besser gleich zu Fuß hingeht.