: Der Retter von Daniel Nivel, der keiner war
Fünf Jahre nach der Prügelattacke auf den französischen Gendarmen in Lens steht ein weiterer Hooligan vor Gericht
BOCHUM taz ■ Der Angeklagte sieht aus wie ein Bankangestellter. Mit Fassonschnitt und gebügeltem Hemd steht der 28-jährige Daniel Kohl vor dem Bochumer Landgericht. Er muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs verantworten. Am 21. Juni 1998 soll Kohl beteiligt gewesen sein, als Hooligans am Rande der Fußball-WM in Frankreich der Polizist Daniel Nivel fast totgeschlagen haben. Fünf Jahre nach der Tat sitzt Kohl auf der Anklagebank – und kann sich „beim besten Willen nicht erinnern“.
Ein Foto hatte den Bochumer vor einer schnellen Verurteilung bewahrt. Kurz nach der Tat tauchte ein entlastender Schnappschuss auf. Auf dem Foto hebt der Hooligan beschwichtigend beide Arme und beugt sich schützend über das blutende Opfer. Die Ermittlungen konzentrierten sich, obwohl Kohl polizeilich als Hooligan bekannt war, zunächst auf andere Schläger. Fünf Täter wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt – Kohl lebte sich weiter als Hooligan des VfL Bochum aus.
An die Attacke auf Nivel will sich Kohl jetzt, nach fünf Jahren, kaum noch erinnern können: „Da rief jemand: ‚Hier lang‘, und wir sind in diese Straße gelaufen“, sagt Kohl achselzuckend aus. Er habe Nivel nicht geschlagen, sagte er. „Ich habe den nicht berührt, der sah schon schlimm genug aus.“
Auf Kohl waren die Ermittler erneut aufmerksam geworden, als sich bei den Vorgängerprozessen die belastenden Aussagen häuften. Die Anklage beruft sich zudem auf neue Tatzeugen, die das Bild vom „Samariter“ in Frage stellen. In der Innenstadt von Lens soll er ein Kamerateam verprügelt haben. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war der Bochumer zu den „Rädelsführern“ zu rechnen, zur ersten Reihe der Angreifer auf Nivel. Ein Zeuge will gesehen haben, wie Kohl auf den leblos am Boden Liegenden eintrat. Anschließend habe er das Funkgerät von Nivel entwendet, der Schwerverletzte blieb ohne Hilfe am Tatort zurück. Kohl wurde in Bochum verhaftet, nach elf Tagen jedoch wieder freigelassen.
Erst 2001, nach dem Ende der anderen Prozesse, wurde Anklage erhoben. Richter Hermann Pamp befragte den Angeklagten gestern in altväterlich-geduldiger Manier. Warum Kohl ohne Eintrittskarte nach Lens gefahren sei? „Ich wollte ein Ticket auf dem Schwarzmarkt kaufen“, sagt Kohl leise. Der zur Tatzeit Arbeitslose hatte allerdings nur 100 Mark dabei – viel zu wenig für teure Schwarzmarkttickets. Das Urteil wird für Donnerstag erwartet. MARTIN TEIGELER