: Scharon erwägt Regierungsumbildung
Der israelische Regierungschef hat im Kabinett nach wie vor keine Mehrheit für seinen Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen. Ihm fehlen noch zwei Stimmen. Am kommenden Sonntag soll abgestimmt werden. Der Ausgang ist offen – bis hin zu Neuwahlen
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Israels Regierungschef Ariel Scharon bleibt entschlossen, seinen Plan des einseitigen Abzugs aus dem Gaza-Streifen durchzusetzen. Unter den gegebenen Vorzeichen dürfte die für kommenden Sonntag angesetzte Abstimmung im Kabinett indes gegen ihn ausgehen. Scharon will, sollte es nötig sein, nicht zögern, „die Regierungskonstellation zu verändern“.
Zehn Minister sind für, dreizehn gegen den Plan. Nur zwei Minister umzustimmen würde ausreichen, das Blatt zugunsten Scharons zu wenden. Da sind beispielsweise Finanzminister Benjamin Netanjahu und Außenminister Silvan Schalom. Beide hatten im Vorfeld der Anfang Mai abgehaltenen Abstimmung unter den Likudmitgliedern, die mehrheitlich den Abzugsplan ablehnten, Scharon Rückendeckung signalisiert. Nun fühlen sie sich indes an das Votum ihrer Parteifreunde gebunden. Schließlich hatte „der Ministerpräsident selbst die [Likud-] Abstimmung initiiert“, erinnerte Netanjahu im Verlauf der jüngsten Regierungssitzung .
Die parteiinterne Abstimmung überhaupt vornehmen zu lassen mag ein Fehler gewesen sein, räumte Scharon ein, dennoch sei „Israel wichtiger als der Likud“. Der Ministerpräsident warnte seine Parteifreunde davor, „die Stunde der Krise zu nutzen, um die persönlichen politischen Interessen voranzutreiben“.
Justizminister Tommi Lapid (Schinui), strikter Befürworter des Abzugsplans, bemühte sich gestern, die Kluft zwischen Scharon und Netanjahu zu überbrücken und damit letztendlich die Koalition zu retten. Sein Kompromissvorschlag sieht die Entscheidung über die Auflösung von zunächst nur 3 der insgesamt 21 jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen vor. Damit würde das Problem vorübergehend ausgesetzt werden.
Ohne Kompromiss gibt es für Scharon nur die von ihm in Aussicht gestellte Möglichkeit, Minister zu entlassen. Avigdor Liebermann, Chef der „Nationalen Einheit“, wäre dafür ein geeigneter Kandidat. Erst gestern propagierte der rechts-nationale Politiker den „Austausch von Bevölkerung und Land“, sprich: die Umsiedlung israelischer Staatsbürger muslimischen und christlichen Glaubens in arabische Nachbarländer. Liebermann lehnt grundsätzlich die Auflösung der jüdischen Siedlungen ab.
Die Möglichkeit, Minister zu entlassen, bliebe auch nach einer für Scharon ungünstigen Abstimmung bestehen. Offen ist, unter welchen Bedingungen die Arbeitspartei die frei werdenden Sitze einzunehmen bereit wäre. Oppositionschef Schimon Peres rief erst gestern zu Neuwahlen auf. Ein Wunsch, der ihn in der Vorwoche nicht daran hinderte, geheime Beratungen mit Omri Scharon, dem Sohn des Ministerpräsidenten, abzuhalten. Zweifellos würde Scharon alles daran setzen, die Opposition in die Koalition einzubinden.Ein Scheitern käme seinem politischen Ende gleich.
Ohne die Opposition müsste Scharon mit einer rechts-nationalen und rechts-religiösen Koalition weiterregieren. Die liberale Schinui würde sich aus der Regierung schon deshalb verabschieden, weil der Abzugsplan, Scharons bislang einziges konkretes politisches Programm, nicht zu einer Umsetzung käme. Will er das nicht, bliebe Scharon nur noch sein Rücktritt. Dann würde der Staatspräsident einen Alternativkandidaten benennen, vermutlich Netanjahu, der das Amt des Regierungschefs übernehmen würde – vorausgesetzt, es gelingt ihm, sich eine Mehrheit von 61 Abgeordneten zu sichern. Andernfalls müssten innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen abgehalten werden.