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Archiv-Artikel

„… bitte nicht füttern!“

Stadtentwicklungssenator Strieder sagt uns, wie wir mit den wachsenden Wildschweinhorden in der Stadt leben sollen: Nicht in die Augen schauen. Seine Behörde lehnt jegliche Verantwortung für die Regulation der Schweinepopulation ab

von NICOLAI KWASNIEWSKI

Das Jahr hatte so gut begonnen: Deutschlands Jäger freuten sich über die größte Menge erlegter Wildschweine seit Beginn der Jagdaufzeichnungen: 2002 allein 66.000 in Brandenburg. Im gleichen Jahr richteten die Schweine zwar Schäden in Höhe von 308.000 Euro an, die angereisten Jäger aber ließen rund drei Millionen Euro im Land.

Was Brandenburg freut, wird für Berlin zum Problem. Weil sie in Waldbereichen gejagt werden, wandern sie zunehmend in die Stadt. „Wildschweine sind schlau. Sie bringen sich in Sicherheit.“ Diese bahnbrechende Erkenntnis ist nun bis zum obersten Herrn der Berliner Forsten und damit auch der Wildschweine, Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), durchgedrungen: Seine Verwaltung präsentiert einen Masterplan im Internet. Unter www.stadtentwicklung.berlin.de gibt es – „Aus aktuellem Anlass … bitte nicht Füttern!“ – Tipps für die Berliner, die das Verständnis der unbekannten Wesen aus dem Wald erleichtern.

„Wildschweine sind in Berlin ‚Kulturfolger‘ “, heißt es dort. „Sie haben ihr Verhalten dem Leben in der Stadt angepasst, einige von ihnen sogar die Scheu vor dem Menschen gänzlich verloren.“ Im Mai wurden sie gar am Alexanderplatz angetroffen. Darum wird gewarnt, denn „auch niedlich anmutende Frischlinge werden einmal größer und wollen weiterhin gefüttert werden“. Und wenn sie dann groß sind, kommt es zu „ständigen Konflikten mit dem Straßenverkehr und der öffentlichen Sicherheit“. Schlimmer gar: „Oft treten Probleme beim direkten Kontakt mit Wildschweinen auf.“ Erste Regel: „Auch wenn Wildschweine relativ schlecht sehen, sollte direkter Augenkontakt vermieden werden, da ihn die Tiere als Bedrohung empfinden.“

Das stimmt nur für Schwächlinge: Claus Peymann, Theaterdirektor des Berliner Ensembles, ließ einst über die Schweine jenseits seines Gartenzauns verlauten: „Auf fünf Zentimeter, zwischen uns der Zaun, stehen wir Auge in Auge als Nachbarn. Ich hab ein gutes Gefühl für das, was andere vielleicht erschreckt.“

Zu gut, fürchtet die Strieder-Verwaltung und warnt: „Entgegen des friedlichen Scheins [sic!] und trotz ihres angepassten Lebens – Wildschweine sind Wildtiere, die zwar oft an den Menschen gewöhnt und trotzdem nicht zahm sind.“ Zum Glück ist für den Schutz unserer Kinder gesorgt: „Wenn Wildschweine und Kinder aufeinander treffen, fällt die Entscheidung der Jagdbehörde zugunsten der absoluten Sicherheit der Kinder.“ Soll heißen, die Frischlinge werden abgeknallt, nicht die Kinder.

So wirklich durchgreifen will die Verwaltung aber nicht: „Der ‚Aufenthalt‘ dieser Tiere in den besiedelten Bereichen der Stadt ist (rechtlich) ungeregelt, sodass in der Folge grundsätzlich auch keinerlei konkrete behördliche Verantwortung etwa zur Regulierung ihrer Populationen besteht.“ Strieder würde die „schlauen und gewitzten“ Tiere aber auch aus einem anderen Grund vermissen. Als Chef der Berliner Forsten lädt er jährlich zur Sauvesper – mit Wildschwein am Spieß.